Prostitution: Das Schwedische Modell

von Karlsruher Appell

Das schwedische Modell wird oft im Zusammenhang mit der Forderung nach einer Abschaffung der Prostitution erwähnt. In der ApuZ vom Februar 2013 erschien dazu ein Beitrag von Susanne Dodillet, der diesem Blogpost auszugsweise zugrunde liegt.

Das „Gesetz zum Verbot des Kaufs sexueller Dienste“ trat 1999 in Schweden in Kraft. Seitdem kann, „wer sich für eine Gegenleistung kurzzeitige sexuelle Verbin­dungen verschafft“, zu einer Geld­- oder Ge­fängnisstrafe verurteilt werden. Schweden war das erste Land, das den Kauf sexueller Dienstleistungen und damit die Freier bestrafte. Zwei Jahre später trat das deutsche ProstG in Kraft. Es befreite die Prostitution vom Stigma der Sittenwidrigkeit und wurde als „Schlag gegen Doppelmoral und für die Rechte von Prostituierten“ gefeiert. In Schweden bezeichnete man dies jedoch als Katastrophe.

Margareta Winberg, Sozialdemokratin und von 2002 bis 2003 stv. Ministerpräsidentin, fand großen Zuspruch als sie betonte, ihr missfalle stark, was in Deutsch­land geschehe. „Das widerspricht der Gleichstellung der Geschlechter. Das widerspricht der Mitmenschlichkeit. (…) Und es ist ein Rückschlag für die Gleichstellungspolitik in Deutschland. Eine Gesellschaft, die Prostitution als Beruf oder Wirtschaftszweig anerkennt, ist eine zynische Gesellschaft, die den Kampf für die schutzlosesten und verwundbarsten Frauen und Kinder aufgegeben hat. Die Legalisierung der Prostitution, wie in Holland und Deutschland geschehen, ist ein deutliches Beispiel für eine solche Resignation.“

Zwei feministische Gesetze – zwei politische Konzepte
Sowohl das schwedische als auch das deutsche Prostitutionsgesetz gingen auf Initiativen von Grünen, Sozialdemokraten und Linken zurück. Sie waren feministisch motiviert und sollten die Situation von Frauen in der Prostitution verbessern. Während man in Schweden der Ansicht war, „Prostitution gebe Männern das Recht, Frauen zu kaufen, kränke die Persönlichkeitsrechte von Frauen und verhindere Gleichberechtigung“ galt in Deutschland die „ungleiche Behandlung von Prostituierten gegenüber anderen Berufsgruppen als eine Form von Diskriminierung und ein Beispiel für die Unterdrückung von Frauen in der Gesellschaft.“ In Schweden appellierte man an den Staat, seine Funktion als Normenbildner wahrzunehmen, die Gesellschaft zu erziehen und der Prostitution ein Ende zu machen. In Deutschland dagegen wehrte man sich gegen einen bevormundenden Staat, der Prostitution lange als sittenwidrig befunden und Prostituierte dadurch diskriminiert hatte.

Bo Rothstein, ein schwedischer Politologe, erklärt die beiden unterschiedlichen Konzepte mit zwei Arten, das Verhältnis zwischen Staat und Individuum zu organisieren: den Kommunitarismus und das Autonomieprinzip. Folgt der Wohlfahrtsstaat dem Autonomieprinzip, akzeptiert er, dass Menschen unterschiedliche Auffassungen davon haben, was ein gutes und richtiges Leben ist und verhält sich neutral gegenüber den Lebensentwürfen seiner Bürgerinnen und Bürger. Nach dem kommunitären Prinzip steht der Staat für kollektive moralische Prinzipien und entscheidet, welche Lebensentwürfe erstrebenswert sind.

Liberale und kommunitären Prinzipien in der Prostitution
Die schwedische Soziologin Helena Streijffert verwies 1972 in einem Zeitungsartikel auf John Stuart Mills Freiheitsbegriff, um zu zeigen, dass ein liberales Autonomieprinzip einen ideologischen Raum für Ausbeutung schaffe. Prostitution war für sie ein Ausdruck für die Macht­verhältnisse der Gesellschaft. Der einzig richtige Weg mit Prostitution um­zugehen sei eine Politik, die gleiche Rech­te für alle im Wohlfahrtsstaat garantiere. Streijffert betrachtete Prostituierte als eine machtlose Gruppe mit niedrigem Status, die besonders emp­findlich für die Ausgrenzungsmechanismen der Gesellschaft und somit nicht zu tolerie­ren sei. Sie erklärte: „Die Ausgegrenzten zu tolerieren bedeu­tet auch, die Übermacht zu akzeptieren, der sie ausgesetzt sind“.

Sexkaufverbot als Norm
Das Sexkaufverbot hatte tatsächlich eine normierende Funktion und prägt heute in Schweden das gesellschaftliche Verständnis für Prostitution. In den Debatten wurde wiederholt auf die Verantwortung der Regierung für die Normen und Werte der Gesellschaft verwiesen. Das schwedische Prostitutionsgesetz sollte letzten Endes deutlich machen, dass man in einer gleichgestellten Gesellschaft nicht akzeptieren kann, „dass Männer Frauen für Geld kaufen.“ Heute lehnen zwischen 70% und  80% aller Schweden Prostitution ab.

Liberaler Markt für Prostitution in Deutschland
Die Grünen und linken Parteien in Deutschland sind marktliberalen Strukturen und Lobbyismus gegenüber eher kritisch eingestellt. Nach wie vor betrachten sie das ProstG als wichtige Errungenschaft ihrer Gleichstellungspolitik. Dass damit marktliberale Strukturen in einem Marktsegment geschaffen wurden, in dem eine besondere Verletzlichkeit von Frauen und Menschen in prekären Situationen besteht, wird kaum kritisiert. Es wird eine Weiterentwicklung des ProstG angestrebt, die sich aber im Wesentlichen auf gewerberechtliche Nachbesserungen und verschärfte Zulassungsgesetze für Bordelle beschränkt. Zwar wird vor laufender Kamera niemand mehr behaupten, Prostitution sei ein Beruf wie jeder andere. Aber noch heute (November 2013) wirbt der Bundesvorstand der grünen Jugend auf seiner Website für Einstiegsangebote in das horizontale Gewerbe – eine Botschaft, die nach allem was heute bekannt ist, Fragen aufwirft. Ob das Prostitutionsgesetz zu den Erfolgen der au­ßerparlamentarischen Frauenbewegung ge­zählt werden kann weil Prostituiertenprojekte wie Hydra in Berlin als Lobbygruppen am Ge­setzgebungsverfahren beteiligt waren, ist eine These, die Susanne Dodillet in ihrem Beitrag in der ApuZ aufstellt. Unbestritten ist es ein Erfolg der Einflussnahme einer starken Lobby im Sexgewerbe.

Aus Politik und Zeitgeschehen Dossier Prostitution Februar 2013

Jungle-World Interview mit Kajsa Ekis Ekman

Spiegel-Artikel zum Prostitutionsverbot in Schweden: Glückliche Huren gibt es nicht.

Anmerkung: Dieser Text wurde zuerst veröffentlicht auf karlsruherappell.com.