Der Mensch wird Entmenschlicht

Ein Gespräch zwischen SOLWODI und Lutz-Ulrich Besser, Gründer und Leiter des Zentrums für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen.

SOLWODI: Ist Prostitution ein Beruf wie jeder andere?
Lutz-Ulrich Besser: Bei dieser Tätigkeit handelt es sich keineswegs um einen Beruf wie jeder andere. Jedem, der sich damit beschäftigt, müsste klar sein, dass dieser sehr intime Vorgang, wenn ein „Freier“ in den Köper einer Frau eindringt – auch wenn dies vermeintlich einvernehmlich geschieht – nur erträglich wird, wenn die Frau dabei ihre Empfindungen von ihrem Bewusstsein abspaltet. Frauen in der Prostitution sind häufig in sozialen Notlagen und werden von Zuhältern genötigt, gedrängt und gezwungen. Das hat mit Ausbeutung und sexueller Erniedrigung zu tun – und ist ein Angriff auf die Würde der Frau.

SOLWODI: Welche Bedeutung haben Vorerfahrungen in der Kindheit für den Schritt in die Prostitution?
Lutz-Ulrich Besser: Frauen, die als Kind sogenanntem sexuellen Missbrauch unterworfen waren, hatten in ihrer Kindheit keine Möglichkeit, überhaupt nur wahrzunehmen, was ihnen dort geschehen ist. Die Angst, der Ekel, evtl. der Schmerz kann nur dadurch überstanden werden, dass hier starke dissoziative, also Abspaltungsphänomene vom Bewusstsein ablaufen. Dennoch bleibt diese Erfahrung gleichermaßen eingefroren im Gehirn. Der Hauptmechanismus ist hier ein Neben-sich-stehen, ein „Gar-nicht-mehr-ich-selbst-sein“. Dadurch, das Gefühl und Körperempfindung vom Bewusstsein abgetrennt werden, ist Prostitution für die vielen in ihrer Kindheit schon sexuell ausgebeuteten Frauen eine Wiederholung bzw. Fortsetzung der Erniedrigung und Ausbeutung des eigenen Körpers.

SOLWODI: Können diese Frauen geheilt werden?
Lutz-Ulrich Besser: Solche Phänomene lassen sich natürlich heutzutage schon behandeln. Wenn die Frauen nicht von ökonomischer Not oder gewalttätigen Zuhältern gezwungen werden, dann ist für die Heilung die entscheidende Frage, ob die Frau eine innere Seite hat, die wahrnehmen kann, dass ihr das alles nicht gut tut und dass sie da raus muss.

SOLWODI: Was müsste getan werden, um Traumatisierung in der Prostitution zu vermindern?
Lutz-Ulrich Besser: Es bedarf vor allen Dingen der Aufklärung. Man muss sich auch den Männern zuwenden und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass in der Prostitution ein Missbrauch von Frauen stattfindet. Die Männer denken: Ich kaufe mir den Körper einer Frau, also habe ich auch das Recht ihn zu benutzen. Dieses Kaufen können von Frauen ist das eigentliche Problem dahinter. Die Männer machen sich das in dem Moment nicht bewusst, weil sie ja sozusagen wie über den Ladentisch für eine Ware Geld bezahlen. Das ist aber immer, ja, ich möchte sagen: ein mieses Geschäft.

SOLWODI: Wie bewerten Sie die Situation speziell in Deutschland?
Lutz-Ulrich Besser: Das rot-grüne Prostitutionsgesetzes von 2002 war sicher gut gemeint, aber der Effekt ist, dass Deutschland ja tatsächlich zum Bordell Europas geworden ist. Die Legitimation hat dazu geführt, dass Großbordelle wie Supermärkte existieren. Wenn man sich die Talkshows anschaut, in denen die Bordellbesitzer mit großer Selbstverständlichkeit vermitteln, dass sie gegen Geld einen schönen Rahmen für die Liebesdienerinnen und ihre Freier zu Verfügung stellen, dann zeigt das die eigentliche Schieflage. Es geht hier um Ausbeutung von Weiblichkeit und von Frauen.

SOLWODI: Wie kann die von Ihnen angesprochene Aufklärung aussehen?
Lutz-Ulrich Besser: Neben der seit Menschen Gedenken bestehenden Prostitution ist ein Anstieg von sexuell problematischen Verhaltensweisen zu verzeichnen und dazu trägt vor allem auch die allgegenwärtige Pornographie bei. Mit zwei Klicks sind selbst Kinder und Jugendliche auf den einschlägigen Pornoseiten im Internet, und ich spreche hier nicht von den illegalen! Was das für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bedeutet und für deren Vorstellungen davon, was Sexualität ausmacht, das finde ich eine sehr, sehr, sehr fatale Entwicklung. Je mehr ich Phantasien anheize, desto mehr werden die natürlich auch Realität. Ich würde vor allem im Bereich der Pornographie viel stärkere Verbote einführen und nicht nur Kinderpornographie bestrafen. Aber der Staat verdient mit und die Pornoindustrie, die Sexindustrie ist ein hochwirtschaftlicher Industriezweig, so dass ich befürchte, dass die Politik nicht wirklich ein Interesse daran hat, hier einzugreifen. Menschliche Sexualität ist bei aller Triebhaftigkeit vor allem eine lustvolle soziale Interaktion zwischen zwei gleichberechtigten erwachsenen Menschen. Prostitution ist jedoch in hohem Maße asozial.

Link zum Artikel: http://www.solwodi.de/1039.0.html

Die Seite von Dr. Lutz-Ulrich Besser: http://www.zptn.de/Homepage/zptn_main.html