Schattenfrauen

Schattenfrauen sind Frauen, die von ihren Ehemännern mit Prostituierten betrogen werden. Über diese „Kollateralschäden“ des Systems Prostitution wurde bislang kaum nachgedacht und es gibt so gut wie keine Erfahrungsberichte darüber.

Das folgende Interview, das ich mit einer betroffenen Frau führte, ging mir sehr nahe. Zum einen, weil mir die Dimensionen der Verletzungen erst richtig bewusst wurden. Es ist nämlich eine extreme Verletzung, wenn der Partner zu Prostituierten geht. Diese Form von Missbrauch hat zerstörerische Auswirkungen auf das ganze Familiensystem und die Opfer werden nicht ernst genommen und erhalten auch keine richtige Hilfe. Im Gegenteil, die Gefahr besteht, dass selbst Therapeuten eine Opfer-Täter Umkehrung betreiben und man von ihnen ein Brainwashing bekommt. Fachliteratur zu Sexsucht gibt es so gut wie keine in Deutschland, so besteht auch nicht die Möglichkeit sich selbst darüber aufzuklären um zu verstehen, was mit einem gemacht wird.

Zum anderen, erlebe ich in meiner psychotherapeutischen Tätigkeit viele Frauen, die von ihren Partnern abwertend behandelt werden. Ihre Männer gehen vielleicht nicht zu Prostituierten, jeder Mann hat aber Zugang zu Pornografie, auch wenn er es nicht explizit abruft. Überall stolpern wir über pornografische Darstellungen von Frauen, auch ohne es zu wollen. Und in einem Land, in dem Prostitution legalisiert ist, bleibt es ein Herrenrecht zu Prostituierten zu gehen und das Privileg zu haben, sich dagegen zu entscheiden. Und wenn wir es genauer nehmen, dann sind alle Frauen auch irgendwo Schattenfrauen in einem Land, das Sexkauf legalisiert und Prostitution als Sexarbeit betrachtet.

Ich beobachte oft ein auf und ab in den Beziehungen vieler meiner Patientinnen: mal sind ihre Männer liebevoll, mal sind sie abwertend. Und die Frauen? Sie nehmen es hin, mal gibt es Zoff, und die Schleife fängt wieder von vorne an. Sie leiden aber darunter und mittlerweile werden solche maskenhaften Gesichtsausdrücke wie das von Melania Trump zu Schönheitsidealen stilisiert. Lebendigkeit, Lebensfreude, Natürlichkeit sind bei Frauen nicht wichtig und werden ab 40 oft weggebotoxed, weil es als unattraktiv gilt. So sind wir doppelt geohrfeigt: hinnehmen zu sollen, dass wir systematisch betrogen werden können und die Erstarrung, die daraus resultiert, als einen Normalzustand oder sogar Schönheitsideal anzunehmen.

Das folgende Interview führte Dr. Ingeborg Kraus am 29.03.2018.

Lektorat: Ulrike Maier   –   Bild: Gabi Streile, „Rosen“.

Seit 36 Jahren lebe ich mit meinem Mann zusammen und bin seit 27 Jahren mit ihm verheiratet. Wir haben 3 erwachsene Kinder, die nicht mehr zu Hause leben und ihre Ausbildungen abgeschlossen haben. Als die Bombe platzte, machte meine jüngste Tochter gerade das Abitur. Das Bild ihres Vaters und meines Mannes brach komplett zusammen.

Mein Mann ist selbstständig und finanziell unabhängig, so hatte er die Möglichkeit, sich jederzeit den Raum für dieses Ausagieren zu nehmen, so dass es überhaupt nicht auffiel. Er war jeden Tag zum Essen da und immer sehr präsent im Familienleben. Auch habe ich mich sehr von ihm unterstützt gefühlt. Er war für uns alle da, so dass ich mich nie gefragt habe, wo er sei oder was er mache. Von seinem Arbeitsplatz aus ist er immer zu den Prostituierten gefahren, um sich direkt danach zu uns an den Mittagstisch zu setzen.

Ich fand ihn über die Jahre aber zunehmend emotional unbeteiligter an unserem Familienleben. Auch seine Sexualität veränderte sich. Ich versuchte immer wieder, mit ihm darüber zu sprechen, er blockte aber ab. Es gab Phasen, in denen er mich anders anfasste. Heute weiß ich, dass er dann bei Prostituierten gewesen war. Ich spürte es, konnte es aber nicht benennen. Irgendwann sagte ich ihm: „Du behandelst mich wie eine Prostituierte, du fasst mich an, als wäre ich ein Stück Fleisch“. Die Intimität war nicht mehr da. Es gab keine Zärtlichkeit mehr, es ging nur noch darum, Erregung herzustellen. Es waren nicht unbedingt die Dinge, die er wollte, sondern die Art, wie er sie einforderte. Er bekam so einen fordernden Kommandoton, der mir höchst zuwider war: „Mach mal dies, fass mich so an, setzt dich so hin, stell dich mal da hin, …“ Es hörte immer wieder auf, wenn ich mich beschwerte und wir gestritten hatten. Er hatte plötzlich bestimmte Vorlieben, die er früher nicht hatte, zumindest nicht so einforderte: zum Beispiel was erotische Kleidung betraf. Ich veränderte mich in der Zeit durch die Kleidung, die ich auswählte. Es gab viele Entwertungen, vor allem was meine Sexualität anging. Es gab Phasen in denen er sich offensichtlich an mir rächen wollte, weil ich ihn sexuell zurückgewiesen hatte. Ich entwickelte immer mehr das Gefühl „Ich genüge ihm nicht. Irgendetwas stimmt nicht“ ich konnte es aber nicht benennen. Es gab auch immer wieder merkwürdige Bemerkungen: „Eigentlich stehe ich auf blonde Frauen, oder blaue Augen, …“. Das war aber in so großen Abständen und nicht so extrem, dass ich mich dafür getrennt hätte. Es gab zwar Streit deswegen, aber auf das was dahinter steckte, wäre ich nie gekommen.

Mir gegenüber sprach er immer abfällig über Männer, die Frauen hinterherschauten und er regte sich darüber auf, wenn er in seinem Bekanntenkreis mitbekam, dass Männer fremdgingen. Er stellte sich dar, als würde er sich für Frauenrechte interessieren und er unterstützte mich in meiner beruflichen Entwicklung. Ich war davon überzeugt, dass er was dies betraf sehr integer war.

Er war immer bereit, seinen Pflichten als Familienvater nachzukommen aber er war emotional nicht mehr erreichbar und oft gereizt. Mit der Zeit stumpfte auch ich immer mehr emotional ab, spürte mich nicht mehr und hatte immer weniger Lust auf Sex. Wenn wir Sex hatten, dann ohne große Intimität sondern nur mit einem zufrieden sein, was war. Ich habe emotional nicht mehr viel erwartet und dachte, das ist normal wenn man älter wird und schon solange zusammen ist. Wenn ich mit anderen Frauen darüber sprach, erzählten sie mir ähnliche Dinge. Ich bekam kaum noch mit, wie sehr ich litt. Im Nachhinein denke ich, dass ich phasenweise depressiv war, ohne dass es mir bewusst war. Ich habe schließlich versucht, mir therapeutische Hilfe zu holen, weil ich dachte, dass mit mir irgendwas nicht stimmt. Aber da ich ja gar nicht wusste, was in meinem Leben hinter meinem Rücken passierte, konnte das natürlich gar nichts an dem eigentlichen Problem verändern, auch wenn es mir gut tat und mich aufbaute..

Mein Mann und ich sprachen zwar viel miteinander, im Nachhinein stelle ich aber fest, dass es, wenn es um unsere Probleme ging, Scheingespräche waren, weil ich nie erfahren habe, was wirklich los war. Irgendwann hatte ich mich an die Teilnahmslosigkeit meines Mannes gewöhnt und bekam auch gar nicht mehr mit, dass er den Blickkontakt mit mir vermied. Ich hielt das alles für normal, weil ich es von meiner Herkunftsfamilie auch nicht anders kannte und war davon überzeugt, im Vergleich zu anderen eine wirkliche und relativ gute Ehe zu führen. Das war die Täuschung, die Illusion und die Abstumpfung. Ich habe nichts mehr gespürt.

Irgendwann entschied ich mich Körperpsychotherapie zu machen. Ganz langsam kam ich wieder an meine Gefühle heran und erfuhr, in einer Dimension, die mir zuvor nicht bewusst war, was mit mir los war. Langsam konnte ich Dinge wieder wahrnehmen und so entdeckte ich eines Tages auf dem Handy meines Mannes die Nachricht einer Frau. Das war der Anfang eines Aufdeckungsprozesses, der über 4 Jahre dauerte.

Zunächst leugnete er alles ab – sogar in der Paartherapie, gab er immer nur gerade so viel zu, wie ich sowieso herausgefunden hatte. In den therapeutischen Sitzungen wurde es immer als ein Paarproblem angesehen, an dem jeder von uns seinen Anteil hatte. Auch in der Therapie versuchte er, seine Lügenstrategien aufrecht zu erhalten, zu bagatellisieren und zu minimieren. Selbst wenn offensichtliche Widersprüche da waren, waren die Therapeuten nicht daran interessiert, dem wirklich nachzugehen. Nicht sein offensichtliches Lügen und die damit verbundene emotionale Gewalt und Macht, die er ausübte, nicht dass er versuchte, mich systematisch verrückt zu machen, wurde thematisiert (Fachbegriff gaslighting: emotionaler Psychoterror, systematischer Missbrauch, bei dem der Missbraucher dem Opfer falsche Informationen gibt und darauf abzielt, dass das Opfer seiner eigenen Wahrnehmung misstraut, seinen eigenen Verstand und schließlich seine psychische Gesundheit in Frage stellt, um es zu verwirren, einzuschüchtern und zutiefst zu verunsichern), sondern ich wurde behandelt, als wäre ich die eifersüchtige Ehefrau, die ihre krankhaften Fantasien entwickelt hatte und lernen muss ihn zu nehmen, wie er ist. Meine Fantasien waren aber deutlich harmloser als das, was wirklich gewesen war, denn das Ausmaß des tatsächlichen Verrates wäre für mich unvorstellbar gewesen. Es war wie ein Brainwashing. Es wurde immer weiter geleugnet und die Therapeuten machten mit. Erst nach 4 Jahren kam die ganze Dimension heraus nachdem ich per Zufall auf seinem Navi unzählige neue Adressen von Prostituierten und Bordellen fand. Daraufhin konnte er nicht mehr anders, als alles zuzugeben.

Es war für mich eine schreckliche Zeit. Wir haben uns in diesen Jahren gegenseitig immer wieder sehr traumatisiert. Für ihn war jedes Aufdecken eine traumatisierende Erfahrung. Für mich auch. Wenn ich darüber nachdenke, wie wir zusammengelebt haben und was es mit uns gemacht hat! Es war nicht mehr möglich, zusammen fernzusehen oder zusammen ins Kino oder überhaupt irgendwohin zu gehen. Er saß oder ging neben mir und war permanent zwanghaft damit beschäftigt, sich lüstern Frauen anzuschauen. Er hatte inzwischen eine ausgeprägte Sexsucht entwickelt und war davon überzeugt, das Recht dazu zu haben Frauen als Sexobjekte zu sehen. In unserer Beziehung war er gar nicht mehr da. Es war nicht nur der Verlust von Intimität und Nähe, mein Mann war auch emotional verarmt. Während ich mir Sorgen gemacht und ihn immer motiviert hatte, etwas für sich zu tun, bemerkte ich, dass er immer lethargischer wurde und an nichts mehr Freude hatte.

Es gab eine Zeit bevor ich von all dem wusste, kurz nachdem ich die Körpertherapie begonnen hatte, in der ich ihm sagte „Es muss sich etwas ändern, ich trenne mich sonst“. Er begann dann eine Therapie, belog seine Therapeutin aber und erzählte mir, wie sehr er mich vernachlässigt hatte, dass er viele Fehler gemacht hatte und wie sehr er an der Beziehung arbeiten würde, um eine weitere Chance zu bekommen. Währenddessen ging er parallel zu Prostituierten. Er führte ein Doppelleben, zum Schluss hatte er mehrere Frauen gleichzeitig und direkt hintereinander. Es war ein schreckliches Erwachen als es herauskam. Es war eine quälende und traumatisierende Zeit. Ich wollte die Wahrheit über mein Leben wissen. Das, wovon ich geglaubt hatte, dass es mein Leben sei, gab es gar nicht. Es ist bis heute so, dass ich sehr extrem darauf reagiere, wenn ich irgendwo Widersprüchen entdecke. Dann kreisen meine Gedanken zwanghaft darum, was da war oder sein könnte.

Ich bin selbst aktiv geworden und habe nach Selbsthilfegruppen und auf die Behandlung von Sexsucht spezialisierten Therapeuten gesucht. In Deutschland gibt es kaum Angebote und es ist schwierig, hier überhaupt Gehör zu finden. Dann bin ich nach England gegangen. Dort hat man eine andere Tradition mit Sexsuchterkrankungen umzugehen und es gibt dort Gruppen und Institute für Sexsüchtige und deren Partner. Ich fand wunderbare Freundinnen, mit denen ich heute noch täglich Kontakt habe und mich austausche. Dabei stellte ich fest, dass ich noch Glück gehabt habe, dass mein Mann mich neben all dem Lügen und Täuschen trotzdem auf dem Weg in die Selbstständigkeit unterstützt hatte. Ich lernte Frauen kennen, deren Männer aufgrund ihrer Prostituiertenbesuche die Kontrolle verloren und sich hoch verschuldet hatten. Sie hatten ohne das Wissen ihrer Frauen, die ganze Familie ruiniert. Es gibt in der Prostitution Bereiche, in denen die Frauen sehr teuer sind und mit kostspieligen Geschenke beeindruckt werden möchten und auf ihren Internetseiten auch gleich eine Wunschliste führen. Die Männer wollen vor diesen Frauen toll dastehen und kommen den Wünschen nach teuren Geschenken nach, oder wollen ihnen aus irgendeiner vermeintlichen Klemme helfen. Es ist erschütternd zu sehen, wie eine Frau dann neben ihrem Trauma und erlittener Demütigung für die Schulden aufkommen muss. Ich hatte außerdem auch das Glück nicht mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt zu werden.

In der Zeit nach der Aufdeckung veränderte sich auch unser soziales Umfeld. Fast alle sozialen Kontakte brachen weg, weil ich nicht mehr bereit war irgendjemanden etwas vorzumachen und weil die Reaktionen, auch von Frauen auf die Prostituiertenbesuche meines Mannes mir gegenüber z.T. extrem abwertend waren. Eine Freundin sagte: „Es ist ja blauäugig zu glauben, dass Männer das nicht machen, deswegen sorge ich dafür, dass er regelmäßig Sex kriegt, dann passiert so etwas nicht.“ Die Haltung war: irgendwo liegt es ja wohl an dir. Ich bin so wütend darüber. Vielleicht auch weil ich früher auch so dachte und weil ich mir so etwas überhaupt nicht vorstellen konnte. Wütend bin ich heute auch darüber, dass es so häufig passiert und in unserer Gesellschaft so leicht gemacht und totgeschwiegen wird.

Der gesellschaftliche Konsens ist offensichtlich, dass die Frauen beschämt werden: Wenn ein Mann zu einer Prostituierten geht, dann deshalb weil die Ehefrau nicht sexy oder nicht gut genug im Bett ist.

Ich habe viele Jahre gebraucht, um mich wieder aufzubauen, um wieder das Gefühl zu haben, ich bin attraktiv genug, es ist alles in Ordnung mit mir, ich habe eine normale Sexualität.

Ich dachte lange Zeit, dass es nichts mehr an meinem Körper gibt, was woanders nicht besser ist. Irgendwann hat mein Mann mir keine Komplimente mehr gemacht. Er hörte auf, mir nette Dinge zu sagen. Mein Gefühl als ich erfahren hatte, dass er sich Frauen im Internet aussucht war: Es gibt an mir kein einziges Körperteil mehr, das er woanders nicht schöner und besser gehabt hätte von den Fußnägeln bis zu den Haaren. Und das betrifft meine Geschlechtsorgane, meine Brüste, es betrifft mein Gesicht, meine Beine, Knie, Hände, meine Haut, meine Augen, meine Lippen … und darüber hinaus auch meine Körperhaltung, wie ich mich bewege, meine Stimme, meine Freundlichkeit,… Als gäbe es an mir nichts mehr was er nicht irgendwo anders besser, schöner, angenehmer für ihn haben konnte. Es hat sehr lange mein Selbstbild bestimmt. Ich konnte mich nicht mehr im Spiegel anschauen. Ich konnte nur noch sehen: Ich bin alt (dabei ist er über 10Jahre älter als ich), ich habe nicht so tolle Haare, nicht so schöne Augen, wie eine osteuropäische 25-Jährige blauäugige Frau.

Diese Erkenntnis kam mit dem Wissen, dass er zu Prostituierten ging und mit jeder neuen Entdeckung wurde dieses Gefühl stärker, wie eine ständige Retraumatisierung. Es konnte sich überhaupt nicht mehr beruhigen. Es war wie: Es gibt nichts mehr an mir was liebenswert, besonders, wertvoll, schön ist. Ich fühlte mich wie ein Ersatzteillager.

Es dauerte ewig, bis es sich veränderte, ich quälte mich jahrelang damit, was mein Selbstbild betraf. Zusätzlich konnte ich in dieser Zeit auch nicht mehr auf die Straße gehen, keine Filme anschauen, keine Zeitschriften aufschlagen ohne am Ende getriggert zu werden, weil überall diese Abbildungen von Frauen waren: mit halbgeöffneten Mündern, tiefem Ausschnitt, etc… Auf jeder Strecke gab es Plakate, auf jeder Strecke fuhr ich an irgendeinem Bordellplakat vorbei oder hinter LKWs, auf denen z.B. ein wohlgeformter Frauenhintern abgebildet war. Ich wurde ständig getriggert und gleichzeitig fragte ich mich, wofür werben die denn da? Und stellte fest, es ist eine Lichtwerbung. Was ich empfand war eine Mischung aus extremer Wut, und extremer Demütigung. Oft hatte ich auch richtige Filme im Kopf, sah eine Frau in der Stadt und stellte mir vor, wie sie meinen Mann oral befriedigt.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir anfangen darüber zu sprechen, die Scham überwinden und es nicht mehr für normal halten, dass Männer zu Prostituierten gehen. Frauen haben die Rolle übernommen, Prostitution für eine normale Sache zu halten und wenn sie sich dagegen zur Wehr setzen, gelten sie als prüde.

Ohne eine Gesetzgebung, die die Sexkäufer bestraft gibt es kein schlechtes Gewissen. Die Männer denken, es ist ihr Recht, reden sich ein, dass die Frauen das so wollen. Ich denke schon, dass es so etwas wie Scham und Selbstverachtung gibt, direkt nach dem Akt. Aber auch dafür müssen wir Frauen herhalten: das äußerte sich einerseits darin, wie abwertend mein Mann über Prostituierte sprach, als er sich mit mir darüber auseinandersetzen musste und in der Zeit, als er regelmäßig dort hinging, wie ich abgewertet wurde in dem Sinn, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Nur so konnte er es vor sich selber rechtfertigen.

Etwas zu tun, was nicht mit den eigenen Wertvorstellungen übereinstimmt, erzeugt – auch wenn es heimlich passiert – extremes Unbehagen. Der Fachbegriff dafür ist kognitive Dissonanz. Um diese Dissonanz und die damit verbundene unangenehme Anspannung zu verringern ohne das sexsüchtige Verhalten aufgeben zu müssen, entwickeln die Männer eine Art Schubladendenken, eine Spaltung ihres Selbstbildes in einen Teil, der nur zu ihrer Persönlichkeit gehört, wenn sie sich in dem entsprechenden Umfeld bewegen mit einem jeweils eigenen Wertesystem. Der eine Teil hat mit dem anderen scheinbar nichts zu tun, mit anderen Worten sie machen sich selbst etwas vor, „vergessen“ die Ehefrauen und Kinder, wenn sie bei Prostituierten sind und die Prostituiertenbesuche, wenn sie in der Familie sind. Diese unbewusst ablaufende Spaltung nennt man in der Fachsprache „Compartmentalization“. Auf der einen Seite der treusorgende Ehemann auf der anderen Seite der verwegene, grenzüberschreitende Potenzprotz, der sich völlig gedankenlos Sex erkauft bei Frauen, die ungefähr im Alter der eigenen Tochter sind. Wenn die Männer in diesem Suchtverhalten stecken, haben die ein ganz anderes Denken und Denkstrukturen, als wenn sie außerhalb des Umfeldes sind, in dem sie mit Suchtverhalten zu tun haben. Und das ist diese Spaltung. Und das ist, was so traumatisierend wirkt, wenn man diese Bereiche wieder zusammenbringt – auch für die Männer. Die beiden Seiten sind nicht integriert in ihrer Persönlichkeit. Die haben tatsächlich das Gefühl, dass sie die Prostituierten beglücken mit ihrer Potenz. Denn das ist, wofür sie bezahlen und was die Prostituierten ihnen vorspielen müssen, wo die sich wiederum abspalten müssen. Mein Mann hatte eine extreme Idealisierung der Prostituierten und gleichzeitig eine extreme Verachtung dafür. Und mir gegenüber war das auch so, er hat mich auf der einen Seite idealisiert und auf der anderen Seite total entwertet.

Es geht um Macht, Manipulation und Illusion in der Beziehung zu Prostituierten, aber eigentlich geht es um Angst. Angst davor auf einer gleichberechtigten Ebene in einer nahen, wirklich intimen Beziehung zu sein. Die Sache mit den Prostituiertenbesuchen fing bei meinem Mann an, als ich mit meinem Studium fast fertig war, selbstsicherer wurde und nicht mehr so abhängig von ihm war.

Ich habe kürzlich im Internet einen offenen Brief einer Prostituierten an die Ehefrauen ihrer Freier gefunden. Höhnisch schreibt sie, dass natürlich jede Frau, die das liest denkt, das sie nicht gemeint sein kann und wie unrealistisch das in Wirklichkeit ist gemessen an der Anzahl ihrer verheirateten Freier. Und dann beginnt sie Argumente aufzuzählen, warum wir Ehefrauen oder Partnerinnen besser daran täten, ihre „Arbeit“ zu akzeptieren und zu schätzen. Schließlich will sie anders als eine Geliebte, unseren Mann ja gar nicht, will nicht mal den Sex wirklich und stelle deshalb keine Gefahr für uns dar. Sozusagen das kleinere Übel, mit dem wir uns abfinden müssen, weil Männer nun mal so sind. Das Männerbild ist – wen wunderts – verächtlich. Was diese Frau nicht erkennt, vielleicht weil sie es nie kennengelernt hat, ist, dass der Betrug, die Heimlichkeit, der Verrat und die Sichtweise von Frauen als reine Sexobjekte, die Entmenschlichung das eigentliche Problem ist. Vertrauen, gegenseitige Achtung und echte Intimität wird dadurch unmöglich und damit wirkt sich Prostitution zerstörerisch auf die Grundlage einer Paarbeziehung aus. Anders als wenn der Mann eine Affäre mit einer „echten“ Frau, einer „echten“ Person mit echten Gefühlen hätte. Das ist sicherlich auch extrem schmerzhaft für die Partnerin, zerstört aber nicht grundsätzlich das Wertesystem und die Liebesfähigkeit eines Menschen.

Ich nenne uns Schattenfrauen, weil wir im Schatten dieses Systems stehen, wir haben keine Wahl, wir haben uns das nicht ausgesucht und wir haben auch keine Stimme in dieser ganzen Diskussion um Prostitution. Zum einen, weil der Großteil der Frauen hofft, nicht betroffen zu sein und zum anderen, weil die, die es wissen, befürchten müssen beschämt und angegriffen zu werden, sobald sie öffentlich darüber sprechen. Und das ist eine unerträgliche Vorstellung angesichts der massiven Traumatisierung infolge des oft langjährigen Betruges, Verrates und Missbrauchs der Ehefrauen und Partnerinnen und der desolaten psychischen Verfassung, die damit einhergeht. Heutzutage ist es eher möglich, sich als Prostituierte zu outen und für die gesellschaftliche Anerkennung von Prostitution als Beruf einzutreten als als die betrogene Ehefrau oder Partnerin. Auch das ist ein typisches Merkmal von Traumatisierung: die Demütigung und Beschämung des Opfers.

Ich bedanke mich für das Gespräch!

Dr. Ingeborg Kraus

 

4 Gedanken zu „Schattenfrauen

  1. Katrin

    „wir haben auch keine Stimme in dieser ganzen Diskussion um Prostitution.“

    DAS muss sich ändern.
    Es mag sein, dass irgendwann ein paar Häppy Sexwörkerinnen (sorry …), es schaffen „Harm Reduction“ in ihrem „Job“ soweit zu betreiben, dass sie zumindest keine sehr schweren psychischen Krankheiten wie PTBS oder Abhängigkeit von harten Drogen oder Alkohol bekommen und das sich das was sie tun, sogar ausweiten läßt…

    Aber die Folgen, die die ständige Verfügbarkeit von Frauen als Sexobjekte für Männer haben, lassen sich dadurch nicht ausradieren.

  2. Andreas

    Schrecklich, was dieser Frau wiederfahren ist.

    Krass finde ich, dass die Prostitution auch die Täter krank macht und dazu bringt nicht nur ein Doppelleben zu führen, sondern auch mit kognitiver Dissonanz Persönlichkeitsteile aufzuspalten.

    Bisher hörte ich nur vom Dissoziieren der Opfer.

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