Der Appell

TraumatherapeutInnen gegen Prostitution!

Prostitution ist keineswegs ein Beruf wie jeder andere. Sie ist demütigend, quälend, ausbeutend. Es ist von Seiten der Prostituierten sehr viel Entsetzen und Verachtung im Spiel, die sie wegdrücken müssen, damit sie das überhaupt durchhalten.“ Das sagt Michaela Huber, Psychologin und Vorsitzende der „Deutschen Gesellschaft für Trauma und Dissoziation“. – „In diesem System der Prostitution werden Frauen systematisch erniedrigt, benutzt und zum Objekt degradiert.“ Das erklärt Lutz Besser, Leiter des Zentrums für Psychotraumatologie und Trauma-Therapie Niedersachsen. – „Prostitution hat ihre Wurzeln in der Gewalt, die Kindern angetan wird. Und die Gesellschaft darf diese Gewalt nicht ausblenden oder verleugnen!“ Das fordert Susanne Leutner, Vizepräsidentin des Trauma-TherapeutInnen-Verbandes EMDRIA.

Führende deutsche Trauma-TherapeutInnen sprechen sich scharf für eine gesellschaftliche Ächtung der Prostitution aus und unterstützen die Aktion „Stopp Sexkauf“. Die Initiative, ein Bündnis aus Bürgerinitiativen und Beratungsstellen, fordert die Freierbestrafung nach dem Schwedischen Modell auch in Deutschland: „Ziel ist es, nicht die Prostituierten zu kriminalisieren, sondern den Fokus auf die Freier zu legen, die mit ihrer Nach­frage erst den Markt schaffen. Sie sind dafür verantwortlich, dass zunehmend junge Frauen aus den ärmsten Ländern der Welt nach Deutschland gebracht werden.“ Denn: „Die Realität der Frauen in der Prostitution wird glorifiziert oder bagatellisiert und ignoriert – und die sexuelle Ausbeutung von Frauen auf diese Weise normalisiert und zementiert.“

Diese offensive Stellungnahme von in der Behandlung traumatisierter Menschen spezialisierten TherapeutInnen ist, gelinde gesagt, eine Sensation. Unter den TherapeutInnen, die sich der Initiative angeschlossen haben, ist unter anderem Prof. Günter Seidler, Leiter der Psychotraumatologie an der Universität Heidelberg und Pionier der deutschen Traumaforschung. „Es gibt ohnehin schon mehr als genug seelisch traumatisierte Menschen. Die ­seelischen Wunden von Prostituierten sind vermeidbar“, sagt Seidler, einer der 90 ErstunterzeichnerInnen des EMMA-­Appells „Prostitution abschaffen!“ (EMMA 6/2013)

„Prostitution ist Gewalt, kein Gewerbe!“ klagt auch Prof. Wolfgang U. Eckart, Direktor des „Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin“ in Heidelberg in der Zeitschrift Trauma & Gewalt. Er ­argumentiert: „Wenig ist frei an der Prostitution. Allein die eklatante Asymmetrie von Macht und von Gewaltpotenzial in der Beziehung zwischen Vermittler und Ausübender generiert in dieser ältesten Form der Versklavung der Frau konstitutive Abhängigkeitsverhältnisse, die quasi automatisch alle Vorwände und Hintergründe für die Ausübung traumatisierender Gewalttaten jeder Art liefern.“

Initiatorin des Protests der TherapeutInnen ist Dr. Ingeborg Kraus. Die Karlsruher Trauma-Therapeutin hat in Bosnien mit den Opfern von Kriegsvergewaltigungen gearbeitet und stellte nach ihrer Rückkehr in deutsche Kliniken fest: „Auch hier hat jede zweite Patientin sexuelle Gewalt erlebt.“ Irgendwann hat es Kraus gereicht, „immer wieder die ­Flick-sie-mal-wieder-zusammen-Aufgabe zu übernehmen“. Sie beschloss: „Ich möchte auch präventiv arbeiten!“ Dazu gehört für sie auch der Kampf gegen die Prostitution. Denn: „In meiner langjährigen psychotherapeutischen Erfahrung habe ich Prostituierte begleitet und die Hintergründe kennengelernt. Es wurde dabei deutlich, dass die Prostitution in allen Fällen die Fortsetzung von Gewalterfahrungen in ihrer Biografie war.“

Das kann Michaela Huber aus ihrer therapeutischen Erfahrung und „der vieler, vieler Kolleginnen und Kollegen“ nur bestätigen. „Wer kommt denn auf die Idee, den eigenen Körper zur Verfügung zu stellen? Voraussetzung dafür ist, dass man dem eigenen Körper entfremdet ist“, sagt sie und fährt fort: „Man muss sich vorstellen: Man muss sich immer und immer wieder penetrieren lassen – von einem fremden Menschen. Das muss man vorher geübt haben, sonst hält man das nicht aus. Man muss gelernt haben, sich selbst ‚wegzumachen‘, um das durchzuhalten. Man lässt nur eine Hülle übrig, die noch bestimmte Gesten, bestimmte Handlungen vornehmen kann.“

Dieses Sich-Wegbeamen, im Fach­jargon: Dissoziieren, haben Gewaltopfer gezwungenermaßen schon früh gelernt. Nicht zufällig belegen Studien, dass die Mehrheit der Frauen (und Männer) in der Prostitution als Kinder sexuellen Missbrauch oder andere traumatische ­Gewalt bzw. Vernachlässigung erlitten haben.
Ein radikales Umdenken bei der Akzeptanz der Prostitution fordert auch der Traumatologe Lutz Besser. „Wir sind in Gefahr, in eine Eiszeit der Ethik zu geraten“, sagt Besser. „Moral ist das eine. Aber Ethik stellt ja auch die Frage: Was löst das in einem anderen Menschen aus, wenn ich etwas tue?“

Diese Frage stellen sich die Freier nicht. „Die Männer, die zu Prostituierten gehen, machen sich nicht bewusst, dass die meisten Frauen unter Druck und Zwang diesem Gewerbe nachgehen. Eine Gesellschaft, die das legitimiert, fördert die Haltung, dass es sich bei der Prosti­tution um das Normalste der Welt ­handelt“, klagt Therapeut Besser. „Es ist eine Schande, dass wir als Gesellschaft keine klarere Haltung dazu haben!“

(Zuerst veröffentlicht auf emma.de)

Der Appell wurde auch noch in Spanisch und Italienisch übersetzt.