Eiszeit der Ethik

Transkription: Dr. Ingeborg Kraus

In einer Doku des Bayerischen Rundfunks (s.u.) äußerten sich führende TraumatherapeutInnen wie Lutz Besser und Michaela Huber zu den Folgen des liberalen Prostitutionsgesetzes in Deutschland. Hier Ausschnitte davon:

Besser: Als vor vielen Jahren, die sozial verständliche Idee heraus entstanden ist, die Frauen in der Prostitution aus dem sozialen Abseits heraus zu holen, es zu entkriminalisieren, ist in Deutschland etwas schreckliches passiert. Es war sozusagen die Legalisierung die dazu geführt hat, und dafür müssten wir uns schämen, dass wir das Bordell Europas sind.

Huber: Mit der organisierten sexuellen Ausbeutung von Kindern und Frauen wird mehr Geld verdient als im gesamten internationalen Waffenhandel. Es ist ein riesiger organisierter Markt.

Besser: Wir sind in Gefahr in vielen Bereichen in eine Eiszeit der Ethik zu geraten. Denn Moral ist das eine, aber Ethik stellt ja auch die Frage, was löst es in einem anderen aus wenn wir das und das tun.

Huber: Es ist einfach ein moderner Sklavenhandel, es gab noch nie so viele Sklaven weltweit wie heute. Weltweit werden Menschenströme transferiert die zum Gebrauch verkauft werden. Wenn die Strafverfolgungsbehörden sich nicht anstrengen, dann ist dem organisierten kriminellen Markt Tür und Tor geöffnet.

Besser: Der Mann, der dort hingeht, macht sich nicht bewusst, dass die meisten Frauen unter Druck und Zwang diesem Gewerbe nachgehen. Insofern geht es nicht darum, dass Menschen ein Recht auf sexuelle Betätigung und Wünsche haben, sondern es geht darum, dass in diesem System der Prostitution Frauen systematisch benutzt, gedemütigt und zum Objekt degradiert werden. Frauen in der Prostitution sind nicht Frauen, die entscheiden: „Ich habe Lust auf Sex und wenn mir jemand noch Geld dafür gibt ist das fein und ich gestalte damit mein Leben“. Sondern das ist ein überwiegend kriminell organisiertes Milieu. Es ist eine Form von moderner Sklavenhaltung.

Huber: Prostitution ist keineswegs ein Beruf wie jeder andere. Prostitution ist ein ganz schreckliches Gewerbe. Es ist demütigend, quälend, ausbeutend, es tut weh. Es ist von Seiten der Prostituierten sehr viel Entsetzen und Verachtung im Spiel, die sie wegdrücken müssen, damit sie das überhaupt durchhalten. Sie versuchen es zu schaffen, sie schaffen es auch oft, über Jahre, aber das Schwierigste ist die eigene Würde dabei aufrecht zu erhalten.

Das romantische Bild „Irma la Douce“ der Prostituierten stimmt nicht. Es gibt maximal ca. 10%, die sagen „es ist so aufregend sich mal zu prostituieren“, 90% ist ein ziemlich dreckiges Geschäft.

Man muss sich vorstellen: man muss sich wieder und immer wieder durch alle möglichen Öffnungen des Körpers von einem fremden Menschen penetrieren lassen. Das muss man üben, sonst kann man das nicht aushalten. Das heißt, dass man lernen muss sich selbst zu einem großen Teil „weg zu machen“, sodass man eine Hülle überlässt die bestimmte Gesten, bestimmte Handlungen vornehmen kann, um das durchzuhalten. Die meisten Prostituierten verachten ihre Freier. Sie finden sie buchstäblich zum Kotzen.

Besser: Für das ausgebeutet werden, sich als Objekt sexuell zu Verfügung zu stellen, dann auch noch als Sklaven benutzt zu werden und das Geld den Zuhältern abzugeben. Es ist eine Schande für uns, dass wir da keine klare Haltung dazu haben.

Huber: Wenn man sich für 10,–€ eine Bratwurst und eine Frau kaufen kann, dann widerspricht das zutiefst der Menschenwürde, dass ich mich schon lange wundere, warum der europäische Gerichtshof für Menschenwürde nicht schon längst eingeschritten ist und die Europäischen Länder nicht gezwungen hat so etwas abzuschaffen.

Besser: In den nordischen Ländern gibt es, dass Prostitution etwas Illegales ist. Aber es ist nicht so, dass Männer jetzt dort gewalttätiger sind und es mehr Vergewaltigung gibt nur weil sie nicht mehr ins Bordell gehen können. Sondern die Gesellschaft, die das legitimiert fördert den Gedanken, dass es sich um das Normalste der Welt handelt.

Es gibt ein Missverständnis, was Demokratie bedeutet. Demokratie bedeutet ein höchstmögliches Maß an Freiheit sein Leben so zu gestalten, wie das dem freien Willen und Impulsen des Menschen entspricht. Aber die Demokratie hört dort auf wo ich die Grenzen eines anderen Menschen verletze. Und da gibt es in unserer Gesellschaft sehr starke Tendenzen, dass es sich tendenziell zu einer Gesellschaft der Grenzenlosigkeit entwickelt, des sich Nehmens und Machens, das was mir gerade in den Sinn kommt.

Besser: Die Haltung des Einzelnen führt zu einem Geist der Gemeinschaft und wir müssen uns als Gesellschaft fragen wessen Geistes Kind wir im Augenblick sind. Sexualität ist ein wichtiges Thema was Menschen beglücken soll und es sind auch Triebe in uns, die befriedigt werden wollen. Aber wenn immer ein anderer Mensch dabei benutzt und erniedrigt wird, dann stimmt etwas nicht. Aber was machen wir in einer Gesellschaft wo inzwischen fast alles geduldet wird was Geld macht?

Huber: Die Gesellschaft muss sich darüber ein Bild machen „was ist das?“ Was passiert hier? Wie hat sich Sexualität von Partnerschaft, Liebe, Kinder erziehen abgekoppelt? Die Pornographisierung, die Entfremdung und die Entsolidarisierung der Gesellschaft hat immer weiter zugenommen. Wollen wir das? Das ist doch ein Gespräch, das in unserer Gesellschaft stattfinden sollte. Wollen wir dulden, dass Millionen von Männern jeden Tag einen Körper kaufen können um den penetrieren zu können? Finden wir das richtig? Was ist das für eine Gesellschaft, die so etwas selbstverständlich findet?