Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,
in der Presseunterrichtung nach der Bund-Länder-Konferenz zur Corona-Lage am 14. Oktober weisen Sie auf die Ernsthaftigkeit der kritischen Pandemie-Phase hin, in der wir uns befinden, und sagen, dass wir alles tun müssen, um die Infektionszahlen, die nun steil nach oben steigen, im Griff zu halten. Am 17. Oktober appellieren Sie nochmals an die Bürgerinnen und Bürger und bitten Kontakte und Reisen einzuschränken. Die Ausbreitung des Virus hänge direkt an der Zahl der Kontakte ab.
Wir fragen uns, warum gerade jetzt, wo die Corona-Infektionszahlen einen Höchstwert erreichen, die Bordelle wieder geöffnet werden? Wir machen uns große Sorgen um die Frauen, die nun, zusätzlich zu dieser krank machenden Tätigkeit, im hohen Maße einer gefährlichen Infektion ausgesetzt werden.
Wie kann es sein, in Zeiten, wo man sich die Hand nicht geben soll, Freier das Recht gegeben wird Frauen weiterhin zur sexuellen Benutzung zu kaufen und sie mit ihrem Geschlechtsteil zu penetrieren? Man braucht kein Studium der Medizin, um zu verstehen, dass hier die AHA-Regeln nicht eingehalten werden können. Und ein Blick in die Freierforen reicht, um festzustellen, dass viele Freier noch nicht einmal Mindestschutzmaßnahmen einhalten, so wie die Kondompflicht.
Die Wiedereröffnung der Prostitutionsstätten und die Legalisierung von Sexkauf lassen jede Corona-Verordnung und jeden Appell an die Bürger und Bürgerinnen absurd erscheinen.
Am internationalen Mädchentag, am 11. Oktober, wurde auf die weltweite Benachteiligung von Mädchen hingewiesen. Am 12. Oktober haben die Bordelle in Baden-Württemberg wieder geöffnet und woanders sind sie schon länger wieder offen. Konkret bedeutet das, dass sich tausende junge Frauen aus meist ärmeren Ländern der EU auf den Weg nach Deutschland machen, von ihren Zuhältern/Menschenhändlern gebracht, um in deutschen Bordellen „arbeiten“ zu müssen. Die meisten Frauen in der Prostitution in Deutschland sind unter 21 Jahre alt.
Heute wissen wir, dass die aller große Mehrheit der Frauen in der Prostitution aus reiner Not und Zwang prostituiert werden.
Heute ist der Europäische Tag gegen Menschenhandel, um auf das globale Problem des Menschenhandels aufmerksam zu machen. Sexuelle Ausbeutung ist die am weitesten verbreitete Form (62%) des Menschenhandels in der EU, und Frauen und Mädchen machen mit 96% die überwiegende Mehrheit aller Opfer aus. [1]
Deutschland hat sich mit seinen Prostitutions-Gesetzgebungen von 2002 und 2017 zum Bordell Europas gemacht und somit Menschenhändlern und Zuhältern Tür und Tor geöffnet.
Frau Merkel, wir benötigen eine neue Gesetzgebung zu Prostitution. Wir brauchen einen Perspektivwechsel zum Schutz der Frauenwürde, so wie es der Bundesvorstand der Frauen Union der CDU in ihrem Beschluss vom 29.6.2020 fordert und viele weitere Bundestagsabgeordnete.
Heute bitten wir Sie, die Bordelle bundesweit wieder zu schließen, die Frauen zu schützen, ihnen Mittel für den Ausstieg bereitzustellen, die Freier zu bestrafen und auch für die Zeit nach der Pandemie die deutsche Prostitutionspolitik in Richtung „Nordisches Modell“ zu ändern, da Deutschland hinter den europäischen Empfehlungen in diesem Bereich zurückbleibt.
Mit freundlichen Grüßen
Sandra Norak & Dr. Ingeborg Kraus
Im Anhang finden Sie unseren Brief vom 15. April 2020, in dem wir Sie bitten einen Richtungswechsel in der deutschen Prostitutionspolitik zum Schutz der betroffenen Menschen gemeinsam mit Bund und Ländern anzustoßen und zu vollziehen.
[1]European Women´s Lobby. Time to act now to end prostitution and sexual exploitation! Women´s organisations celebrate the first anniversary of the Honeyball resolution. 26.02.2015. https://www.womenlobby.org/Time-to-act-now-to-end-prostitution-and-sexual-exploitation-Women-s?lang=en