Stellungnahme von Wolfgang Heide, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe

Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung zur 
„Regulierung des Prostitutionsgewerbes“ im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Gesundheit im Deutschen Bundestag am 06. Juni 2016

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, sehr geehrte Damen und Herren.
Ich bedanke mich für die Gelegenheit, mich im Vorfeld der Sitzung am 06. Juni zum Themenkomplex „Prostitution und Gesundheit“ äußern zu dürfen.

Vorbemerkung:

Seit der Gründung Beratungsstelle „Amalie“ in Mannheim betreue ich dort, sowie in meiner Praxis in Heidelberg ehrenamtlich Prostituierte. Diese Betreuung geht weit über medizinische Untersuchungen hinaus, beinhaltet viele Gespräche, ebenso wie „Streetworking“ also aufsuchende Arbeit in den sogenannten Laufhäusern. Da die Frauen im Laufe der Jahre ein Vertrauensverhältnis zu mir aufgebaut haben, berichteten sie mir Dinge, die in einem kurzen Beratungsgespräch nicht an den Tag kommen können.

Aufgrund meiner Erfahrungen wurde ich gebeten eine Stellungnahme zur gesundheitlichen Situation von Prostituierten abzugeben.

Das Thema Prostitution ist aus meiner persönlichen Sicht so komplex, dass eine gesetzliche Regulierung nie gänzlich die Frauen in der Prostitution schützen kann, vor Verletzungen der menschlichen Würde, vor gesundheitlichem, physischem wie psychischem Schaden, wie auch nicht vor Menschenhandel und kriminellen Einflüssen einschließlich dem Zwang zur Prostitution. Deshalb ist es aus meiner Erfahrung unbedingt nötig, alle nur möglichen gesetzlichen Regulierungen zur Anwendung kommen zu lassen, die diese Frauen, die oft in größter Not sind, soweit wie nur möglich zu schützen. Die Situation der Prostituierten hat sich sicher in den letzten Jahren dahingehend sehr geändert, dass die meisten Frauen aus Osteuropa und aus extremer Armut kommend in der Prostitution landen. Dieser Umstand sollte unbedingt berücksichtigt werden, auch bei der Beurteilung ob eine Frau „freiwillig“ in die Prostitution geht.

Meine Stellungnahme bezieht sich auf Fallbeispiele aus der Praxis, auf meine persönliche Erfahrung in der medizinischen Betreuung von Prostituierten. Es handelt sich also ganz ausdrücklich nicht nur um wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern Alltagsberichte, die sich aufgrund ihrer häufigen Wiederholung durchaus als beispielhaft bezeichnen lassen und ausdrücklich keine „Einzelfälle“ sind.

Bei diesen Darstellungen kann es leider nicht ausbleiben, dass „unappetitliche Dinge“ be- schrieben werden. Ich versichere Ihnen, dass all diese Beispiele sozusagen aus erster Hand stammen.

Heidelberg, 30. Mai 2016

  1. Schwangere Frauen, die in der Prostitution arbeiten:

Ich möchte Ihnen anhand alltäglicher Beispiele aus meiner Praxis beschreiben, wes- halb es aus meiner Sicht unbedingt nötig ist, die Arbeit in der Prostitution für Schwangere ganz zu verbieten, beziehungsweise keine Anmeldebescheinigungen für Schwangere und Frauen im sogenannten Wochenbett auszustellen.

Es bedarf eigentlich keinerlei wissenschaftlicher Studien, für die Erkenntnis, dass es für schwangere Frauen insgesamt nicht zumutbar ist, als Prostituierte zu arbeiten, auch vor der 34. Schwangerschaftswoche.
Das Gegenteil beweist leider ein Fall in meiner Praxis, der auch in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erlangte. Eine Schwangere in der 22. Schwangerschaftswoche, die gerne ausgestiegen wäre, aber nicht in eine Maßnahme nach Hartz 4 aufgenommen wurde, bis schließlich in 3. Instanz vom Obersozialgericht Stuttgart festgestellt wurde, dass es Zitat: „..unzumutbar für eine schwangere Frau ist, in der Prostitution zu arbeiten…“. (Aktenzeichen Landessozialgericht Stuttgart: L 3 AS 4449/15 ER-B und L 3 AS 4450/ 15 B.)
Für dieses Urteil wurden mehrfache ärztliche Atteste von mir geschrieben, in welchen ich festgestellt habe, dass durch die Ausübung der Prostitution nicht abschätzbare Risiken für die werdende Mutter und das ungeborene Kind bestehen. Dafür gibt es keine Studien, gleichwohl finden sich in den Datenbanken über 200 aktuellere Studien, die sich mit psychischem Stress in der Schwangerschaft und den damit verbundenen Risiken für Mutter und Kind beschäftigen. Aber braucht es wirklich Studien, um festzustellen, wie unmenschlich, unwürdig und gefährlich es ist, wenn eine Schwangere in der Prostitution arbeitet? Davon abgesehen, dass niemand ausschließen kann, dass neben der Mutter das ungeborene Kind schon in dieser Zeit auch psychisch schwer geschädigt wird.
Die intrauterine Entwicklung ist eben nicht nur eine körperliche. Wir wissen zum Bei- spiel, dass ein Embryo ab der 16 Schwangerschaftswoche hören kann. Dieses Hörerlebnis dient auch der Bindung zur Mutter und spielt auch nach der Geburt eine große Rolle. Wissen wir wirklich, ob das ungeborene Kind durch Situationen, Geräusche, Stimmen, psychischer Stress der Prostituierten in einem Bordell nicht massiv psychischen Schaden nimmt? Schaden, der nicht wieder gut zu machen ist? Aber in der Medizin gilt sehr wohl der Satz: „First off all, do no harm“. Das muss auch in der Prostitution gelten und vor allem für das ungeborene Kind das sich nicht wehren kann.
Das unwürdigste ist, dass es einen Markt gibt für Freier, die besonders auf schwangere Frauen stehen und dafür gerne mehr bezahlen. Von den Erzählungen der schwangeren Frauen die ich betreue abgesehen, hat der SWR im Rahmen eines Interwies mit mir, in einer Recherche, Annoncen gefunden (SWR-Fernsehen 2015 Das Geschäft mit dem Sex), die mit sogenannten „Gang Bang“ Partys mit Schwangeren werben. 30 Euro inklusive Getränke! ( Gang Bang Partys: eine Frau und 30 (oder mehr) Männer!!)
Es ist sehr zu begrüßen, dass solchen Veranstaltungen in Zukunft eine Erlaubnis versagt werden soll, wie in der Begründung zu § 13 beschrieben.
Hier muss noch hinzugefügt werden, dass auch diese Beschreibungen nur die Spitze des Eisbergs sind. Eine ausgestiegene Frau sagte mir auf einer Tagung im letzten Jahr: „Das schlimmste erzählen wir Euch gar nicht“ Manche erzählen trotzdem, wenn sie Vertrauen zu uns haben. Sexspiele mit Fäkalien aller Art und das auch mit Schwangeren.

Für mich als Frauenarzt und Geburtshelfer sind solche Situationen am Rande des Erträglichen. Wir Frauenärzte sind für das Wohl von Mutter und ungeborenem Kind zu- ständig. Wie soll das gehen, wenn die werdende Mutter zwischen 15 und 40 Freier pro Tag bedienen muss.

Es ist für mich als Geburtshelfer nicht nachvollziehbar, dass eine Anmeldung zur Arbeit in der Prostitution für werdende Mütter 6 Wochen vor der Geburt laut Gesetzentwurf nicht erteilt werden soll, sehr wohl aber vorher.„ Grund für die Regelung ist die bei der Tätigkeit als Prostituierte typischerweise bestehende, unverantwortbare Gefährdung des Wohls des ungeborenen Lebens des Kindes…..“ insgesamt ist die Gefährdung in den letzten 6 Wochen am höchsten…“ Drucksache 156/16 S. 67….) Diese Begründung ist nicht nachvollziehbar und wissenschaftlich so nicht haltbar. Die analoge Übertragung aus dem Mutterschutzgesetz der Gefährdung in den letzten sechs Wochen, kann sich nicht auf die Gefahr des Kindes einer Prostituierten beziehen.

Alleine die Gefahr durch übertragbare infektiöse Erkrankungen ist in den frühen Schwangerschaftswochen deutlich höher! Beispiel Syphilis: Gefahr der diaplazentaren Übertragung ab der zwölften Schwangerschaftswoche verbunden mit dem Risiko einer Syphilis connata, mit der Gefahr von Spätaborten und schweren fetalen Schädigungen. (AWMF-S2k-Leitlinie 7 /2014) Gonorrhoe der schwangeren Frau: eine Infektion in der Schwangerschaft kann zu einem Frühabort und septischen Abort führen(RKI Stand 08.05.2013) Es ist generell nicht nachvollziehbar, dass im Entwurf sehr wohl eine generelle „unverantwortbare Gefährdung des Wohls des ungeborenen Lebens“ (Drucksache 156/16 S. 67) beschrieben wird, ein Schutz jedoch erst in den letzten sechs Wochen gelten soll, wobei die Feststellung der höchsten Gefährdung in den letzten sechs Wochen gerade bei den Prostituierten nicht gelten kann.

( Ärztezeitung Nr. 62 vom 01. 02.2016 Seite 4: In einer älteren RKI-Studie, die zwischen Januar 2010 und März 2011 durchgeführt wurde – 29 Gesundheitsämter nahmen teil, knapp 10 000 Untersuchungen wurden durchgeführt -, war herausgefunden worden, dass die Gefährdung für sexuell übertragbare Erkrankungen insbesondere bei Frauen unter 20 Jahren ohne Krankenversicherung, die auf den Straßenstrich gingen und kaum Deutschkenntnisse hatten, deutlich erhöht war. )

Dies gilt natürlich auch für schwangere Frauen und nicht nur in den letzten sechs Wochen der Schwangerschaft!
Es gibt im Mutterschutzgesetz zahlreiche Bestimmungen und Einschränkungen für die Arbeit von Schwangeren, die sehr streng sind. Das ist unbedingt notwendig, nur so kann die werdende Mutter und ihr ungeborenes Kind geschützt werden. Es ist für mich in keiner Weise akzeptabel, dass diese Bestimmungen für Schwangere in der Prostitution nicht gelten sollen! Es wird zwar eine „unverantwortbare Gefährdung“ beschrieben, aber nur im Zeitraum der –vermeintlich- höchsten Gefährdung, soll eine Anmeldebescheinigung nicht erteilt werden.

Eine Arbeit mit gefährdenden Substanzen inklusive Blutentnahmen sind, trotz Schutzhandschuhen für Schwangere nicht erlaubt. Multipler Verkehr mit bis zu 30 Freiern pro Tag ist für Schwangere erlaubt! Obwohl in der Begründung zu Nummer 3 eindeutig beschrieben, dass ein Verweis auf die schützenden Vorschriften im Mutterschutzgesetz nicht ausreicht um den Schutzzweck zu erreichen, wäre es in diesem Fall schon ausreichend, das Mutterschutzgesetz (siehe unten) zur Anwendung zu bringen, das für jede Schwangere gilt:

Beschäftigungsverbote

An erster Stelle stellt sich sicherlich die Frage nach den gesetzlichen Beschäftigungs- verboten für Schwangere, die beachtet werden müssen. Dies sind die wichtigsten:

  • individuelles Beschäftigungsverbot (entsprechendes ärztliches Zeugnis)
  • keine Nachtarbeit (Arbeitsverbot zwischen 20:00 h und 6:00 h)
  • keine Mehrarbeit (Maximum 8,5 h/Tag bzw. 90 h/14 Tage)
  • keine Sonn- und Feiertagsarbeit
  • keine schwere körperliche Arbeit (z. B. regelmäßig mehr als 5 kg Lasten heben oder tragen von Lasten bzw. mehr als 10 kg gelegentlich)
  • keine Arbeiten in Zwangshaltung (häufiges Strecken, Beugen, Hocken, Bücken, langes Sitzen oder Stehen…)
  • keine Tätigkeiten mit erhöhten Unfallgefahren (erhöhte Rutschgefahr, erhöhte Havariegefahr bei chemischen Reaktionen sehr reaktiver Stoffen )
  • keine Tätigkeiten mit sehr giftigen, giftigen, gesundheitsschädlichen oder in sonstiger Weise den Menschen chronisch schädigenden Gefahrstoffen, wenn der Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) überschritten ist. (s. S. 5 ff)
  • keine Blutentnahmen oder Punktionen
  • kein Kontakt mit kmr-Stoffen (nicht kmr-Stoffen „nicht ausgesetzt“ sein, s. S. 9f)
  • kein Kontakt mit hautresorptiven Stoffen (s. S. 10ff)
  • keine Tätigkeit mit Infektionsgefahr (nicht Krankheitserregern „ausgesetzt“ sein.)
  • kein Aufenthalt im Sperrbereich i. S. d. Strahlenschutzverordnung

Quelle: uni-due.de (letzter Zugriff 27.05.16)

Es muss aus meiner persönlichen Erfahrung und nach meiner festen Überzeugung als Geburtshelfer ein generelles Beschäftigungsverbot für schwangere Prostituierte geben! Sollte der Gesetzgeber Anmeldebescheinigungen bis zur 34 SSW erteilen, also bis zum Erreichen des sogenannten Mutterschutzes, liefert er die Schwangeren vor der 34 SSW und ihr ungeborenes Kind einer Situation aus die schlicht und einfach unmenschlich und dazu nicht einschätzbar ist bezüglich eines Schadens für Mutter und Kind und damit unverantwortbar ist. 
Ein weiteres, sehr bedrückendes Beispiel aus der Praxis:
Eine Prostituierte, wie die weitaus überwiegende Zahl der Frauen nicht krankenversichert, die einige Tage vor dem Besuch bei mir ein Kind geboren hatte. Die Geburt wurde über die Beratungsstelle „Amalie“ organisiert und betreut. Die Schwangerschaft wurde bis kurz vor der Entbindung geheim gehalten, einerseits aus Angst vor Repressalien aus dem Umfeld, andererseits um keine Kunden zu verlieren. Das Schlimmste aber ist, dass die Schwangerschaft auch geheim gehalten wurde, um nicht zum Spiel- ball für o.g. Freier und Anbieter zu werden, die auf schwangere Frauen stehen, beziehungsweise sie anbieten.
Diese Frau bat mich in gebrochenen Deutsch um Hilfe, da sie 3 Tage nach der Geburt wieder arbeiten musste!
(Das Kind wurde zur Adoption frei gegeben, eine für die Mutter immer katastrophale und traurige Entscheidung)

Diese Frau musste wieder Freier bedienen, das Wort „arbeiten“ kann ich in diesem Zusammenhang nicht mit gutem Gewissen gebrauchen. Sie war mit ihrer Miete mehrere Tage im Rückstand. ( 120 Euro pro Tag ) Dadurch gab es Druck vom Betreiber des Laufhauses. Also war die konkrete Bitte: „Hilf mir, dass ich wieder arbeiten kann“ Diese Frau hatte die üblichen Geburtsverletzungen, Scheidenrisse und Dammriss, ausgeprägten Wochenfluss, Rückbildungsschmerzen. Jede Frau die ein Kind geboren hat, kennt diese Beschwerden. Die meisten Paare die Kinder haben, wissen, wie lange es oft dauern kann, bis eine Frau nach der Geburt eines Kindes wieder schmerzfrei Verkehr haben kann. Allerdings kann sie in aller Regel auf das Verständnis und die Rücksichtnahme des Partners zählen. Freier sind nicht rücksichtsvoll. Freier sind meistens recht brutal, so die Aussage der meisten Prostituierten, „Die stoßen und stoßen ohne Rücksicht“. Zitat: ‘Den rücksichtsvollen einfühlsamen Freier gibt es nicht“. Aufgrund der vaginalen Verletzungen kann man bei einer Frau, wenn sie im Wochenbett wieder zwischen 15 und 30 Freier bedient, bleibende Schäden nicht ausschließen, bis hin zur bleibenden Inkontinenz. Es muss immer wieder erwähnt sein, das sind „nur“ die körperlichen Schäden! Die psychische Traumatisierung kann oft nur mit Medikamenten, Alkohol oder Drogen ausgehalten werden. Dammrisse, Scheidenverletzungen, Wochenfluss und unendliche Schmerzen beim Verkehr und trotzdem finden sich Freier, denen das offenbar nichts ausmacht, im Gegenteil, Freier die so etwas suchen. Dies ist alles legal. Ist es auch mit der Menschenwürde vereinbar?

Wenn man dann noch weiß, wie die hygienischen Bedingungen oft in den Laufhäusern sind, wenn überhaupt gibt es eine gemeinsame Dusche auf dem Gang, fragt man sich wieder, wo leben wir eigentlich, dass so etwas möglich ist? Offenbar ist wirklich alles erlaubt, weil es legal ist.

Auch aus diesem Grunde ist es aus meiner Sicht unbedingt notwendig, Müttern im sogenannten Wochenbett keine Anmeldebescheinigung als Prostituierte zu erteilen, die Bedingungen in den Bordellen besser zu überprüfen und strenger Vorschriften bezüglich Ausstattung, sanitären Einrichtungen etc. im Gesetz vorzuschreiben und das Weisungsrecht unbedingt abzuschaffen. Bei Erkrankungen der Prostituierten sollte eine Möglichkeit geschaffen werden, dass horrende Mietrückstände aufgrund von Wuchermieten nicht dazu führen können, dass die Prostituierten krank weiterarbeiten müssen.

Anmerkung: Aus Erfahrung weiß ich, dass beim Thema ungewollte Schwangerschaft die Frage auftaucht, warum verhüten die Frauen nicht. Die Antwort ist sehr einfach: Weil es zu teuer ist. Der ganz normale Alltag ist, dass sich die Frauen freuen, wenn sie eine Schachtel Ibuprofen geschenkt bekommen, um etwas gegen ihre permanenten, heftigen Unterleibsschmerzen zu haben. Die fehlende Verhütung führt zwangsläufig zu ungewollten Schwangerschaften. Da die Frauen aus besagten Gründen die Schwangerschaften häufig zunächst verheimlichen (Druck von außen, Angst vor Freiern die auf Schwangere stehen, wirtschaftliche Not mit Angst vor Verdienstausfall)

ist die Schwangerschaft bei der Diagnose häufig schon fortgeschritten und ein Abbruch rechtlich nicht mehr möglich. Dies treibt die Frauen dann ins Ausland um häufig auch illegal mit entsprechendem Risiko einen SS-Abbruch durchführen zu lassen. Unmittelbar danach wird dann wieder weiter „gearbeitet“.

  1. Gesundheitliche Beschwerden und Schäden, durch die Arbeit in der Prostitution: 


Die Prostituierten, die ich behandele haben in aller Regel chronische Unterbauch- schmerzen bedingt durch Unterleibsentzündungen und mechanischer Traumata, die nur schwer medizinisch behandelt werden können. Aufgrund des häufig hohen Drucks (Mietrückstände, Druck aus dem Umfeld) müssen die Frauen weiter Freier bedienen unter, so berichten sie häufig, unerträglichen Schmerzen. Dazu kommen neben den Verletzungen durch die übermäßige „mechanische“ Beanspruchung bis hin zu Verletzungen, die bewusst durch Freier zugefügt wurden. Dass Freier sehr häufig brutal und alles andere als vorsichtig sind, wird von nahezu allen Prostituierten berichtet. „Der einfühlsame“ Freier ist eine Illusion“, so der Originalton vieler Frauen. Im Gegenteil, Macht und Brutalität spielen die große Rolle. 
Hier kann man nur hoffen, dass die Einführung der Kondompflicht zu einem größeren Schutz der Frauen vor infektiösen Erkrankungen wie lokale Infektionen, bakterielle Entzündungen, Chlamydien, Gonorrhoe, Lues etc. und systemischen Infektionen wie Hepatitis und HIV, führt. Daher ist die Kondompflicht zu begrüßen, obwohl sie schwer zu kontrollieren ist und keinen sicheren Schutz vor übertragbaren Erkrankungen bietet. Auch sollte die Kondompflicht nicht dazu dienen die Freier in Sicherheit zu wiegen, wie ich noch ausführe. Die Prostituierten benötigen dieses Verbot jedoch als Schutz gegenüber den Freiern, zur besseren Durchsetzung Ihrer Interessen. In diesem Zusammenhang sie erwähnt, wie viele Männer offenbar den Verkehr ohne Kondom suchen und fordern (und für 10 Euro mehr und auf Druck auch bekommen). Hier sind unbedingt auch die „Betreiber“ und „Veranstalter“ in die Verantwortung zu nehmen.

  1. Wohnsituation und Alter der Prostituierten. 


Beim Streetworking in den sogenannten „Laufhäusern“ zeigt sich mir immer wieder ein grauenvolles Bild: Junge, sehr ängstliche Frauen (eigentlich Mädchen) die vor einem Zimmer stehen und auf Freier warten. Die Zimmer sind 8-10 qm groß und die Einrichtung besteht aus einem Bett, Spiegel und einem Schränkchen. Hier „arbeiten“ und leben die Frauen. In Mannheim gibt es dazu den Begriff: „Schmuddel Wohnungen“ Die Prostituierten schlafen im selben Bett, in dem sie vorher 10 -15 oder mehr Freien bedient haben. Es ist aus meiner Erfahrung eben gerade nicht so, dass eine Trennung stattfindet zwischen den den für sexuelle Dienstleistungen genutzte Räumen und Wohn- oder Schlafräumen. Die Frauen sind sozusagen „allzeit bereit“. Sie sehen auch unter ihrer dicken Schminke sehr müde aus, „maximal 5 Stunden Schlaf, den Rest des Tages bereit sein“ so erzählte mir eine junge Frau aus Osteuropa. Toilette und Dusche befindet sich auf dem Gang. Ich konnte auch hier keine Trennung für Freier und Prostituierte sehen. Das Bild, dass sich mir bietet, sind oft sehr junge Frauen, die häufig kein Deutsch sprechen. Wie kann man von Freiwilligkeit reden, wenn die Prostituierte kein Deutsch spricht und versteht? Wie kann sie einem Geschlechtsakt zugestimmt haben? Ich bin aufgrund dieser Bilder fassungslos, dass nicht wenigstens eine Alters- grenze von 21 Jahren im Gesetz festgelegt ist. Wer möchte bestreiten, dass wir alle mit 18 Jahren, gerade einmal dem „Kind sein“ entwachsen waren, also „Heranwachsende“ waren, wie im Gesetz beschrieben. Aus meiner Erfahrung mit den extrem jungen Frauen, ist nur ein Arbeitsverbot für Prostituierte unter 21 Jahren dazu geeignet, „Her- anwachsende“ zu schützen. Mein Eindruck ist, dass gerade diese sehr jungen Frauen 
oft sehr naiv, gutgläubig und gutmütig sind. Eigenschaften die leicht ausgenutzt wer- den um die Frauen in die Prostitution zu schicken. Wir alle, die wir osteuropäische Prostituierte kennen, wissen, dass diese oft geschickt werden von ihren Vätern, Brüdern, Onkeln oder Cousins. Nicht wirklich wissend was ihnen auf dem deutschen Prostitutionsmarkt blüht. Ich kann nur jedem empfehlen sich anzuschauen, wie die jungen Frauen „gehalten“ werden. Der gesundheitliche Schaden physisch wie psychisch ist immens und nicht mehr gut zu machen. Von Schutz der „Heranwachsenden“ kann keine Rede sein. Wir alle wissen, dass gerade sehr junge Frauen von Freiern gesucht werden. Warum können sie den Zuhältern, Betreibern von Bordellen und Anbietern von Sexpartys schutz- los ausgeliefert werden? „Frischfleisch“ werden diese Heranwachsenden in der Szene genannt. Haben wir nicht soviel Respekt vor der Menschenwürde, vor der Verletzlichkeit junger Menschen, dass wir das nicht verbieten können? Weiß eine Achtzehnjährige was es heißt in Deutschland 15-20 Freier am Tag zu bedienen, vaginal, anal oder oral? Spiele mit Fäkalien? Brutalität zu erfahren, ein Leben in dunklen Bordellen? Die Frauen die uns bei „Amalie“ begegnen wissen oft überhaupt nicht, in welcher Stadt sie sind. Sie kennen nur das Bordell. Kann eine achtzehnjährige Frau wirklich, von Bulgarien oder Rumänien aus, beurteilen, was es heißt in einem deutschen Bordell zu arbeiten? Eine junge Frau, die häufig generell nur geringe sexuelle Erfahrungen hat oder gar Missbrauchserfahrungen hat?

Warum denken wir, oder die Freier nicht einmal darüber nach: Es könnte unsere Tochter, unser Enkel sein? Dies ist Fakt und durch welche Gegenargumente auch immer, nicht aus der Welt zu schaffen: Es könnte Ihre Tochter oder Enkelin sein!
Es ist meine feste Überzeugung, dass eine Altersgrenze von mindestens 21 Jahren zumindest ein Minimum an Verantwortlichkeit gegenüber jungen „Heranwachsenden“ wäre.

  1. Medizinische Versorgung der Prostituierten, Krankenversicherung und Menschen- würde

Geschätzt sind nahezu 90 % der Prostituierten, die die Beratungsstelle in Mannheim oder meine Praxis aufsuchen nicht krankenversichert! Dieser Eindruck deckt sich mit der Studie des RKI von 2014. (Ärztezeitung Nr. 62 01.04.2016 Seite 4) Der Zugang zur Versicherung ist nicht einfach und bei Frauen aus Osteuropa, die kein deutsch sprechen oft eine unüberwindbare Hürde. Wie auch in der Begründung zu Abschnitt 2 (Drucksache 156/16 s. 61) beschrieben, ist nur ein verschwindend geringer Teil sozial- versicherungspflichtig tätig, der weitaus größte Teil übt die Prostitution in Form einer selbstständigen Erwerbstätigkeit aus. Daraus folgt, dass die Prostituierten sich freiwillig oder selbst versichern müssen, was sie in aller Regel nicht tun. Erstens ist der Zugang für eine Prostituierte zu einer privaten Krankenversicherung sehr schwierig, zweitens fehlt ihnen schlicht und einfach das Geld dafür. Eine Frau die dankbar ist für eine geschenkte Packung Ibuprofen um ihre Schmerzen zu behandeln, kann sich keine Krankenversicherung leisten. 120 – 150 Euro Miete pro Tag. 25 Euro pro Tag pauschale Steuer in Baden-Württemberg, das sind mindestens 150 Euro Fixkosten. Pro Freier 25 Euro, die Preise fallen. Das sind 6 Freier pro Tag, nur um die Fixkosten begleichen zu können! Was darüber hinaus verdient wird, schicken die Frauen oft nach Hause zur Unterstützung der Familie. An dieser Stelle muss unbedingt auf die Notwendigkeit von Mietobergrenzen in den Bordellen hingewiesen werden. Eine Miete von 120 – 150 Euro kann nur als Ausbeutung der Frauen bezeichnet werden, insbesondere in Angesicht der o.g. Einkünfte!
Der Vorschlag, eine Nachweispflicht einer Krankenversicherung gegenüber den „Vermietern“ ist aus meiner Sicht trotzdem sinnvoll und dient dem Schutz der Frauen. Die Praxis zeigt, dass die bisherigen gesetzlichen Regelungen eben nicht ausreichen, damit sich die Frauen krankenversichern (Ärztezeitung Nr.62 01.04.2016 Seite 4). Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass sehr wohl 25 Euro Steuer pauschal einbehalten wer- den, dies aber nicht für eine Krankenversicherung möglich sein soll. Ohne Krankenversicherung sind die Frauen der unwürdigen Situation ausgeliefert, aus Gefälligkeit behandelt zu werden. Dies tue ich, wie auch viele meiner Kollegen gerne, es ist jedoch trotzdem unwürdig! Solange die Situation jedoch so ist, sollten unbedingt die Beratungsstellen mit ihrem kostenlosen medizinischen Angebot umfangreich unterstützt werden.

Ich habe meinen Lebensmittelpunkt in Heidelberg. Hier gibt es einen „Club 25“. Auch aus diesem Club kommen Frauen in meine Praxis, da sie nicht krankenversichert sind und bei uns um sonst behandelt werden.
„Club 25“ oder 25 Euro-Club. 25 Euro, für eine klar definierte Leistung: „…2 Stellungen und einmal „blasen“. Dies scheint, so die Information aus anderen Städten, mittlerweile eine Regel zu sein. Sogenannte „Flatrate-Clubs sollte es mittlerweile aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr geben. Ein Verbot solcher, menschenunwürdiger Bedingungen wie im „Club 25“ ist dringend notwendig. In einem Club gibt es noch eine besonders unwürdige Einrichtung, die sich „Notaufnahme“ nennt. Bezahlt der Freier etwas mehr für eine „Notaufnahme“ klingelt es im ganzen Haus und alle freien Frauen müssen sich auf einer Treppe aufstellen, damit der Freier eine aussuchen kann. Dies sind Berichte der Frauen, die dort als Prostituierte „arbeiten“.

Durch die meistens fehlende Krankenversicherung sind die Prostituierten auf die Beratungsstellen und Praxen angewiesen, die kostenlos medizinische Hilfe anbieten, wie „Amalie“ oder „La Strada“ in Stuttgart. Wir Ärzte bei „Amalie“ arbeiten komplett ehrenamtlich. Oft ist es so, dass die Frauen bei starken Schmerzen zunächst von den „Vermietern“ Schmerztabletten bekommen. Ich habe noch nie gehört, dass sich ein Betreiber eines Bordells, in der Weise um eine Frau gekümmert hat, dass er sie zum Arzt schickt und gegebenenfalls die Kosten übernimmt.

Leider kommen die Frauen auch in die Beratungsstelle „Amalie“ in Mannheim oft zögerlich. Wir wissen auch, dass es den Frauen von den Betreibern oft untersagt wurde eine Beratungsstelle aufzusuchen. Hier sollte unbedingt darauf hingewirkt werden, die Beratungseinrichtungen weiter und umfangreicher zu unterstützen. Der Gang in eine einladende Beratungsstelle, mit professionellen und ehrenamtlichen Mitarbeitern, ist für die Frauen in der Prostitution häufig sehr viel einfacher als der Besuch eines Amtes. Ein niederschwelliges Angebot kann nur sinnvoll sein.

Die Frauen treten immer wieder mit der Bitte an mich heran, sie krank zu schreiben. Sie hoffen mit einer „Krankschreibung“ etwas gegenüber dem Vermieter in der Hand zu haben, damit er ihnen die Miete erlässt. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Auch dies sollte gesetzlich geregelt sein, keine Wuchermieten aber auch keine Mietzahlungen im Krankheitsfall!

  1. Psychischer und physischer Zustand der Prostituierten

Der gesundheitliche Zustand der Prostituierten ist in aller Regel katastrophal. Die Frauen sind mit 30 Jahren sehr oft deutlich vorgealtert. Persistierende Unterleib- schmerzen werden von nahezu allen Frauen angegeben. Gastritis, häufige Infekte durch die schlechten Lebensbedingungen sind die Regel.

Regelmäßige, vollwertige Ernährung ist bei den Bedingungen, die in den Laufhäusern herrschen nicht möglich. Manche Bilder aus den Begehungen kann man nicht einfach vergessen, so der Pizzabote der den Prostituierten Pizza gebracht hat, die zwischen zwei Freiern gegessen werden musste.

Originalzitat einer Prostituierten die in meine Praxis kam: Zitat: „ich kann in den Stoßzeiten an den Wochenenden oft nicht einmal ein Glas Wasser trinken, zwischen zwei Kunden. Mein Vermieter sagt dann immer, das könnte ich nach Feierabend machen”…! Das Weisungsrecht der Vermieter dient aus meiner Sicht mehr der Ausübung von Druck auf die Frauen und sollte ersatzlos gestrichen werden.

Rauchen und Alkohol, Drogen und Medikamente sind oft die einzige Möglichkeit zu entspannen. Eine Prostituierte sagte mir, Zitat: „viele der Mädchen werden von ihren Familien aus Rumänien oder Bulgarien geschickt und meinen sie könnten schon irgend- wie klar kommen in der Prostitution. Spätestens nach 3 Tagen sind die Mädchen dann psychisch völlig durch den Wind…“. Ein anderes Zitat ist:

„Ekelunterdrückung ist eine der wichtigsten Eigenschaften die man braucht in der Prostitution, aber viele Freier stört es noch nicht einmal wenn die Prostituierte sich er- bricht…“ Eine Tätigkeit als Prostituierte ist oft ohne Psychopharmaka nicht möglich Die psychischen Traumatisierungen durch die Tätigkeit in der Prostitution sind gewaltig und stellen häufig lebenslange Schädigungen und Qualen für die Frauen dar. Dies wurde mir insbesondere auch von ausgestiegenen Frauen berichtet. Eine „normale“ Beziehung zu einem Mann aufzubauen ist nahezu unmöglich.

  1. Geistig behinderte oder geistig eingeschränkte Prostituierte

Sind die Frauen oft durch die Prostitution psychisch schwer traumatisiert, die Bitte nach Psychopharmaka ist Alltag, so ist ein Großteil der Frauen schon im Vorfeld traumatisiert. Frühere Missbrauchserfahrungen vieler Prostituierter werden beschrieben. Nach Studien ist es nicht auszuschließen, dass viele Frauen in der Prostitution frühe Missbrauchserfahrungen haben. Ein Bild aus meiner Praxis: die Arme einer Prostituierten übersät mit Schnittwunden aus der Jugend. Ich bin der Meinung auch bei diesen Frauen kann man nicht von Freiwilligkeit reden, denn es stellt sich die Frage, ob sie ohne diese frühe Missbrauchserfahrung überhaupt in der Prostitution arbeiten würden. Zitat Gesetzentwurf: „Zugleich muss berücksichtigt werden, dass Prostitution nicht selten von Personen ausgeübt wird, die sich in einer besonders verletzlichen oder belastenden Situation befinden und die deshalb nicht in der Lage sind, selbstbestimmt für ihre Rechte einzutreten“.

Viel extremer und ethisch nicht vertretbar, sind die Fälle, wo geistig oder psychisch massiv beeinträchtigte Frauen in der Prostitution arbeiten. Nach allem was wir wissen, ist es durchaus vorstellbar und bedarf nicht viel Fantasie, dass es auch einen Markt für solche Frauen gibt. Der Perversion sind keine Grenzen gesetzt, wenn alles legal also erlaubt ist. Es scheint gerade so, als ob für Menschen, die normalerweise den Schutz der Gesellschaft benötigen, ein besonderer Markt besteht, wie Kinder, sehr junge

Mädchen, Schwangere, Drogenabhängige, geistig oder körperlich Behinderte. Das heißt doch, dass es in Beratungsgesprächen sehr genau geprüft werden sollte, in wie- weit eine Frau wirklich, auch aufgrund ihrer Anamnese, in der Lage ist selbstbestimmt zu entscheiden, dass sie in der Prostitution arbeiten möchte. Dies gilt generell für mögliche psychische Erkrankungen oder eine entsprechende Anamnese. Auch eine mögliche Drogenabhängigkeit, die uns immer wieder begegnet, sollte überprüft werden und zur Nichterteilung einer Anmeldung führen. Wie wir wissen sind gerade Drogenabhängige aufgrund ihrer Abhängigkeit, den Freiern mit den unwürdigsten Wünschen und Vorstellungen ausgeliefert.

  1. Gesundheitsberatungen

Der sogenannte „Bockschein“ ist eine menschenunwürdige Formulierung einer medizinischen Untersuchung. Eine zwangsweise genitale Untersuchung hat dazu etwas Unwürdiges. Es sollte auch nicht so sein, dass die Prostituierten zum Schutz der Freier untersucht werden. Die Freier sollten auf keinen Fall das Gefühl haben, ‘…dass sie sich schon keine Geschlechtskrankheiten bei einer Prostituierten holen können…“. Dies würde die Gefahr der Verbreitung venerischer Erkrankungen erhöhen. Es sollte auch nicht dem Wunsch der Betreiber nachgegeben werden, sozusagen „zertifiziert“ zu sein. Heißt: „bei uns arbeiten nur gesunde „O-Ton: saubere Frauen“. Dies würde den Wunsch nach ungeschütztem Verkehr noch verstärken. Die Kondompflicht begrüße ich deshalb ausdrücklich, obwohl die Durchsetzung fast unmöglich erscheint und Menschenhandel und menschenunwürdige Bedingungen nicht durch eine Kondompflicht vermieden werden können. Auch von Seiten der Prostituierten, mit denen ich spreche, wird die Kondompflicht aus diesen Gründen des Selbstschutzes und der Durchsetzbarkeit gegenüber den Freiern begrüßt.

Eine Gesundheitsberatung die vorgeschrieben ist, kann sehr zum vertrauensvollen Kontakt mit Ärzten und auch Sozialarbeitern beitragen, eine ärztliche Untersuchung kann auf Wunsch und freiwillig dann angeboten werden. Eine vorgeschriebene Untersuchung, kann Sinn machen solange sie im Interesse der Frauen ist. Ist eine medizinische Beratung vorgeschrieben, kann sie den Frauen auch nicht, zumindest nicht legal, von den Betreibern der Bordelle untersagt werden.

Gesundheitsberatungen, auch durchgeführt in den Beratungsstellen wie „Amalie“ in Mannheim (Leitung Julia Wege) oder „La Strada“ in Stuttgart (Leitung Sabine Constabel) sind, so zeigt die Erfahrung auch eine Chance auf einen Einstieg in den Ausstieg. Sie können, wie in der Begründung zu Absatz 4 (Drucksache 156/16 S. 65) beschrieben, dem Aufbau eines Vertrauensverhältnisses dienen, was Voraussetzung dafür ist, Themen wie Gewalt, Drogen und Zwang zu besprechen, die sonst häufig verschwiegen werden.

Deshalb begrüße ich, auch aus meiner persönlichen Erfahrung diese vorgeschriebene Beratung, die regelmäßige Wiederholungen bedarf. Es könnte sinnvoller sein, dies in ausgelagerten Beratungsstellen durchzuführen, da hier die Schwellenangst der Prostituierten geringer zu sein scheint und das beschriebene Vertrauensverhältnis schon besteht, beziehungsweise einfacher, auch aufgrund der geborgenen Atmosphäre, herzu- stellen ist. Die Regelung der nicht Mitteilung von Ortswechseln und die nicht notwendige erneute Anmeldung geht nach meiner Meinung an der Realität vorbei. Die Frauen wechseln sehr häufig den Standort, oder werden dazu veranlasst, somit besteht die Gefahr, dass sie sozusagen in der Versenkung verschwinden.

Zusammenfassung:

Für mich stellt sich nach einigen Jahren Arbeit mit Frauen in der Prostitution die Frage, ob es überhaupt eine gesetzliche Regelung geben kann, die die Menschen, die in der Prostitution tätig sind, ausreichend schützt. 
Ich hoffe sehr, im Interesse der Prostituierten und im Sinne der Menschenwürde, die in unserem Land bei allem Tun an erster Stelle stehe sollte, dass durch das Gesetz die Bedingungen für die Frauen etwas besser werden, obwohl nach meiner persönlichen Meinung, die sich in den letzten Jahren durch die Arbeit mit den Prostituierten sehr geändert hat, drastischere gesetzliche Regelungen notwendig wären. Nach wie vor leidet die überwiegende Zahl der Frauen in der Prostitution die mir begegnen unter nicht hinnehmbaren menschenunwürdigen „Arbeitsbedingungen“, die zu massiven psychischen und physischen Schädigungen führen bis hin zur Ausbeutung und Gewalt.

Das nicht Hinzunehmen ist unserer aller Aufgabe, solche menschenunwürdigen Bedingungen darf es nicht geben, für niemanden!

Wolfgang Heide
, Frauenarzt
, Ehrenamtlicher Arzt der Beratungsstelle „Amalie“ Mannheim.

4 Gedanken zu „Stellungnahme von Wolfgang Heide, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe

  1. Bettina Voigt

    Lieber Herr Dr. Heide,
    vielen Dank für diesen ausführlichen, realitätsnahen Bericht über die menschenunwürdige Situation der meisten Prosituierten. Es ist so dringend notwendig, dass bei uns gesellschaftlich hoch angesehene Personen/Fachkräfte diese Realität endlich aufzeigen. Eine Schande, dass so etwas bei uns in Deutschland – oder irgendwo auf der Welt – sein darf.
    Wenn das so ein normaler Beruf ist (auch in Fragen der Mutterschaftszeit) frage ich mich immer warum sie dann keinen anerkannten Ausbildungsberuf daraus machen – der Markt ist doch da? Und warum muss dann nicht jede arbeitslose Frau – oder Mann – irgendwann halt im Bordell arbeiten, wenn sie sonst keine Arbeit kriegt? Wohl doch nicht so normal, dass man jede Frau/Mann als Prostituierte arbeiten lassen möchte? Dass wäre doch vielleicht mal eine Forderung, da würde sich ein Verbot der Prostitution weil menschenunwürdig vielleicht schneller durchsetzen lassen. Da würden alle Normalbürger aber aufschreien!

    Stimmt es denn eigentlich, dass Prostituierte 16 Stunden, statt wie sonst max. 11 Stunden arbeiten „dürfen“?

    Liebe Grüße
    B. Voigt

    1. Lena R.

      Lieber Herr Heide,

      erstmal Danke für Ihre wichtige Arbeit, auch wenn ich Sie persönlich nicht kenne! Ich bin selber eine betroffene Frau.
      Ihr Bericht kommt mir bekannt vor, denn vor ein paar Jahren habe ich einen ähnlichen Artikel gelesen, auch von einem Frauenarzt. Leider weiss ich nicht mehr, wie er hiess. Der Bericht war mit einigen Tippfehlern, als ob er das in einem Atemzug geschrieben hat, dies hier ist einwandfrei.
      Auch wenn ich selber Erfahrungen in der Prostitution machen musste, war für mich nicht leicht Ihren Bericht zu lesen. Ich brauchte mindestens 5 mal Pause einzulegen, um Luft zu holen. Vielleicht auch die Vorstellung, was mit mir selbst wäre, wenn nicht die glücklichen Umstände, machte mir das Lesen ihres Berichtes so schwer. Ich lese zwar solche Berichte oder las vor kurzem ein gutes kritisches Buch einer Austalierin „Die industialisierte Vagina“ und denke, ich bin schon gut informiert, aber jedes mal erschüttert mich trotzdem etwas neues, worüber ich noch nicht gelesen oder gehört habe. Es erinnert mich an schreckliche Geschichten aus dem 19. Jahrhundert, in der das Schiksal armer Frauen als Prostituierte beschrieben wurde. Es hat sich nichts geändert, wie es aussieht! Wo ist der Sozialstaat für diese Männer und Frauen?!
      Sie haben das Leiden sowie auch die Auswirkungen dieser „Arbeit“ der betroffenen Frauen sehr gut beschrieben, jedoch ist es nur ein Teil von negativen Auswirkungen auf die Frauen selbst sowie auch auf ihre Familie und ihre Angehörigen, die Liste kann man fortsetzen. Nur dann wäre es kein Bericht mehr, sondern ein ganzes Buch. Aber auch das ist schon erschütternd genug, ein zweites mal will man es nicht lesen.
      Ich glaube, solche Berichte findet man leider nur im Internet, für eine „normale“ Zeitung wär es zu kritisch.

      Liebe Frau Voigt,

      zu Ihrem Kommentar bezüglich dessen, dass wenn arbeitslose Frauen von Jobcentern künftig in Bordells vermittelt werden sollen, wird es mehr Aufstand geben. Ihre Gedanken sind nicht die Befürchtungen, sondern sie sind bereits Realität und das kann ich Ihnen an eigenem Beispiel bestätigen. Die Jobcenter oder Agentur für Arbeit brauchen die Menschen nicht mal ausdrücklich in den Bordells schicken. Es genügt, ihnen einfach die Leistungen zu verweigern, dann geht ein Mensch von alleine hin, wenn er nichts zu essen hat und ihm die Obdachlosigkeit droht. Mein Jobcenter hat mich auf diese Weise in die Prostitution getrieben. Später als ich die Leitung des Jobcenters damit konfrontiert habe und mir zustehenden Leistungen forderte, bereiteten sie für mich eine Überraschung: beim nächsten Besuch im Jobcenter legten sie mir einen dicken Stapel Fragebögen auf den Tisch und baten mich unter Androhung der Komplettverweigerung von Leistungen diese auszufüllen. Als ich es las, wurde mir bewusst wozu – damit ich mich als Prostituierte selbstständig mache! Das heisst zuerst treiben sie die Frauen in die Not und dann verlangen sie von ihnen als Profi-Hure zu arbeiten, damit sie ihnen nichts mehr zahlen müssen, im Gegenteil von ihnen Steuern erhalten. Ich weigerte diese Unterlagen auszufüllen, daraufhin bekam ich komplette Ablehnung und musste vor Gericht. Die Richterin fragte mich, ob ich alleine gearbeitet habe oder als Zwangsprostituierte. Als ich nachher den Abwalt fragte wozu mir diese Frage gestellt wurde, erklärte er mir – wenn ich eine Zwangsprostituierte wäre, würde mir das Gericht kein Geld bewilligen, da sie nicht wollen, dass das Geld an den Zuhälter fliesst. Das heisst eine Zwangsprostituierte in Deutschland hat keine Chance jemals ein normales Leben zu führen, da ihr selbst das Sozialgericht kein Geld bewilligt! Ich war geschockt.
      Später als mir das Jobcenter nach einigen Monaten wieder das Geld versagte, argumentierte das Sozialgericht trotz aller Nachweise über meine Hilfebedürftigkeit- ich gab selber an, in der Vergangenheit erotische Dinstleistungen anzubieten und gab dem Jobcenter recht, mich voll meinem Schiksal zu überlassen, allein durch die Tatsache, dass ich früher vor einem Jahr aus der „Tätigkeit“ Einkommen erzielte und ignorierten dabei die Tatsache, dass selbst das Einkommen früher nur als eine Art Aufstockung für die gekürzten Leistungen diente und nicht als ganze Existenzsicherung. Aber das interessierte den Richter nicht. Er brauchte irgendeinen Argument, wie er mir sein Urteil zugunsten des Jobcenters verkauft. So dank dem Jobcneter und Sozialgericht verlor ich meine Wohnung und stehe seit 1,5 Jahren komplett ohne Existenz und Krankenkasse da. Ich mag gar nicht dran denken, was mit mir wäre, wenn…

      Ich stellte zweiten mal den Antrag beim Jobcenter und zum zweiten mal wurde es mir abgelehnt. Beim Gericht desselber Richter, der mich ein halbes Jahr früher obdachlos gemacht hat und meinem Schiksal überlassen, entschied wieder zugungsten des Jobcenters mit der Begründung, übersetzt in eine einfachere Sprache: da ich noch lebe, müsste ich ein Einkommen entweder durch die Unterstützung eines neuen Partners, eines geschiedenen Ehemannes oder durch die Prostitution erzielen und das wieder trotz aller vorgelegten Nachweise über meine Hilfebedürftigkeit und trotz keinen einzigen Nachweis, was gegen mich spricht und was seine „Vermutungen“ bestätigen kann. Aber allein die Tatsache, dass ich noch am Leben bin genügt dem Richter anscheinend, um mich nicht für hilfebedürftig zu erklären. So wie es aussieht, könnte ich nur mit meinem Tod nachweisen, dass ich tatsächlich hilfebedürftig bin! So lange ich aber lebe, weigert sich mein Jobcenter, so wie auch das Sozialgericht mir zustehenden Leistungen zu zahlen und für kritische Fragen seitens der Bürger schiebt immer den Argument- „sie gab selber an, früher in der Prostitution ein Einkommen zu erzielen.“
      Widerstand und Aufschrei, den Sie sich hier wünschen, habe ich kaum erlebt und befürchte, dass wir es auch kaum erleben werden, da Frauen, die davon betroffen sind, outen sich nicht gerne und wenn sich jemand outet wie ich, dann wollen Politiker, Journalisten, Medien mit solchen Fällen möglichst nichts zu tun haben, da das Thema für sie viel zu schmutzig ist. Ich musste selbst erleben, dass nicht mal ein Frauenhaus mich aufnehmen wollte, da mein Fall für sie eine Nummer zu groß ist und die Medien springen ab. Mir wurde klar- ich kann die Sache nur selbst in die Hand nehmen, sprich ein Buch darüber schreiben.
      Ich hoffe jedoch, dass der Aufschrei eines Tages passieren wird, denn ohne diese Hoffnung ist man bereits gestorben.

      Lena R.

    2. Franz Zimmermann

      Sehr geehrter Dr. Heide, liebe antwortenden Interessentinnen.

      Es ist abscheulich und hat mich zutiefst geschockt was Sie über das Leid dieser Frauen geschrieben haben aus eigener beruflicher und menschlicher Erfahrung. Ich selbst habe vor 11 Jahren die Liebe meines Lebens gefunden und während des letzten Jahres sehr schmerzlich erfahren müssen, dass sie neben ihrem Beruf als Kindergärtnerin und Erzieherin als Prostituierte „arbeitet“ mehrfach in der Woche. Sie wurde bereits seit 8 Jahren dreimal an der Gebärmutter wegen Krebs operiert und seit einem halben Jahr ist sie zudem HIV-infiziert. Sie hat mit allem aufgehört seitdem sagt sie und es gehe ihr gut. Ohne Angaben von Gründen hat sie die Beziehung zu mir Ende September letztes Jahr beendet. Wir haben uns mehrfach gesehen seitdem und ich spüre, dass sie sehr leidet und davon loskommen möchte aber nicht kann. Sie selbst ist ein Mißbrauchsopfer sexueller Gewalt seit ihrer Kindheit, mit der sie bis heute von den damals dafür Verantwortlichen erpresst und unter Druck gesetzt wird. Nach außen spielt sie immer die Glückliche, der es gut geht und die alles in ihrem Leben freiwillig macht. Sicher spielt sie diese Rolle auch für ihre siebenjährige Tochter, die sie über Alles liebt. Ich stehe weiter zu ihr, auch wenn Dritte aus ihrem Umfeld sich ertappt fühlen und mich versuchen mit Stalkinganzeigen oder durch persönliche Beschimpfung und Intrigen von ihr zu entfernen. Sie braucht dringend Hilfe in psychologischer und medizinischer Hinsicht. Ich werde weiter zu ihr und ihrer Tochter halten und sie weiß das. Es ist entsetzlich, dass in einem der kultiviertesten Länder der Welt wie in Deutschland die Politik mit Blick auf diese armen Frauen nichts tut. Meine Frau ist Anfang vierzig und Deutsche und in Deutschland geboren. Anfang Juni wollten wir heiraten, aus Liebe. Sie hat vermutlich von dritter Seite aus eine entsprechende Ansage bekommen und schämt sich und wir mussten die Hochzeit absagen. Ich stehe weiter zu ihr und ihrer Tochter und werde mich um sie kümmern. Ich bitte alle Frauen, die so „arbeiten“, aufzustehen und sich zu wehren. Habt keine Angst. Über alle Kommentare würde ich mich sehr freuen weil es uns helfen kann. Vielen Dank Ihnen Dr. Heide und allen betroffenen Frauen wünsche ich Kraft für einen Ausstieg und Neubeginn ohne Druck und Zwang. Vielen Dank.

  2. Jacqui Wüthrich

    Ich habe größte Hochachtung vor Menschen, die ehrenamtlich, d.h. unentgeltlich arbeiten in diesem menschenverachtenden Bereich und so diesen geschundenen Mädchen wenigstens einen kleinen Teil Würde zurückgeben können. Ja, sie könnten unsere Töchter sein!

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