Prostitution ist unvereinbar mit der Gleichstellung von Frau und Mann

Vortrag von Dr. Ingeborg Kraus in Madrid am 15.10.2015,  anlässlich der Fachtagung zu Prostitution, organisiert durch: „La Comision para la investigation de malos tratos a mujeres“.

In Deutschland wird die Idee eines Sexkauf-Verbots oft noch nicht einmal zur Kenntnis genommen, geschweige denn angestrebt, weil man denkt, es gäbe eine gute Prostitution. Es besteht natürlich Konsens darüber, dass „Kinderprostitution“ schlecht und Zwangsprostitution eine schwere Straftat ist, aber die Prostitution, in der sich zwei erwachsene Menschen einig werden…. Warum sollte sich da der Staat einmischen? Und ihnen vorschreiben, wie sie Sex haben? Oder ihn sogar verbieten? Das geht doch nicht!

Vor einem Jahr habe ich den Appell der deutschen Trauma-ExpertInnen initiiert. Dieser Appell legt dar, dass Prostitution demütigend und ausbeutend ist. Sie entmenschlicht Folie02und ist ein Akt der Gewalt und meistens auch eine Fortsetzung von Gewalt in den Biografien der Frauen. Mit anderen Worten: Es gibt keine gute Prostitution.

Dieser Appell verlangt politisches Handeln durch die Einführung eines Gesetzes, das die Sexkäufer in die Verantwortung nimmt, und zwar durch ein Sexkauf-Verbot. Dieser Appell wurde von führenden Trauma-Experten in Deutschland unterschrieben. Um seine Bedeutung zu verstehen, möchte ich einen kurzen Ausflug in die Geschichte machen, denn schließlich kommt dieser Appell quasi mit einer Verspätung von 120 Jahren!

Der Gründer der klinischen Psychologie war Sigmund Freud. Am Ende des 19. Jahrhunderts interessierten sich die führenden Psychiater in Europa für das Phänomen der Hysterie. Bekannt waren hier der namhafte Psychiater Charcot in Paris, der minutiös die Symptome der Frauen notierte und Sigmund Freud, der begann, den Frauen zuzuhören. Freud veröffentlichte seine Studien in seinem Buch „Sechs Studien zur Hysterie“, in denen er belegen konnte, dass all diese Frauen Opfer von sexueller Gewalt in ihrer Kindheit gewesen und die Symptome der Hysterie in diesem Zusammenhang zu verstehen waren. Dieses Buch war natürlich ein Skandal, auch weil die meisten Frauen aus seiner Studie aus bürgerlichem Hause kamen. Sehr schnell übten seine ärztlichen Kollegen Druck auf ihn aus. Posthum wurden bei Freud sogar Briefe gefunden, in denen man drohte, ihm seine ärztliche Lizenz abzunehmen – ich möchte übrigens nicht wissen, was für ein Druck auch derzeit noch auf manche Leute in diese Richtung ausgeübt wird. Es wäre also damals beinahe das Ende der Karriere Freuds gewesen.

Er nahm daher diese Wahrheiten zurück und erfand die Phantasie-Theorie. Mit anderen Worten behauptete nun Freud, der Missbrauch habe nie stattgefunden, sondern die Frauen hätten ihn sich nur fantasiert und sich die Situation, die sie schilderten, eigentlich in ihrem tiefsten Inneren sogar gewünscht.Folie03

In der Tat wurde 100 Jahre lang auf den Hochschulen diese falsche These verbreitet, die offensichtlich von Anfang an darauf abzielte, die sexuelle Gewalt an Frauen zu verleugnen, um die Täter zu schützen.

In den aktuellen Diskussionen um das Thema Prostitution sehe ich gleiche Mechanismen, die in Kraft treten: Verleugnung der sexuellen Gewalt gegen Frauen sowie die Umkehrung der Schuld auf die Opfer mit der Aussage: „Die wollen doch mit uns schlafen“. All das, um ein ganz stark tabuisiertes Thema zu schützen, und zwar die männliche Sexualität und das ihr widerspruchslos zugestandene Recht auf uneingeschränkte Entfaltung.

Wenn der damalige Lobbyismus nicht die Wissenschaft als Geisel genommen hätte, wenn Freud seine erste These nicht zurückgenommen hätte, würden wir heute ganz woanders stehen, da bin ich mir ganz sicher. Über Generationen hätten die Hochschulen die Schüler über Gewalt gegen Frauen aufgeklärt und sensibilisiert. Heute würden wir daher ganz anders über eine Frau in der Prostitution denken. Wir würden sagen, dass sie viel Schlimmes erlebt haben muss, um sich dafür zu entscheiden, ihren Körper zu verkaufen und nicht: „Die will das doch“.

Deshalb finde ich es wichtig, dass ich diesen Appell initiiert habe und dass so viele Fachleute sich positioniert haben.

Wenn man sich die Diskussion in Politik und Gesellschaft anhört, stellt man fest, dass eine Kultur der Verleugnung allgegenwärtig ist und der Lobbyismus, so wie damals, zu Freuds Zeiten, auch weiterhin überall infiltriert ist:

  • Verleugnung der Gewalt gegen Frauen vor dem Eintritt in die Prostitution
  • Verleugnung der psychischen und physischen Folgen der Prostitution
  • Verleugnung der Gewalt in der Prostitution
  • Verleugnung der Auswirkungen von Prostitution auf die Gesellschaft, Familie und Beziehung zwischen Mann und Frau

Ich möchte die ersten drei Punkte näher ausführen:

  1. Der Einstieg in die Prostitution:

Und dabei geht es bei meinen Beobachtungen und Ausführungen nur um die sogenannte freiwillige Prostitution.

Ich möchte zuerst zwei Aussteigerinnen oder Frauen, die in der Prostitution waren, zu Wort kommen lassen:

In einem Interview (2007) sagt Ellen Templin folgendes: „Es gibt keine freiwillige Prostitution. Eine Frau die sich prostituiert, hat Gründe dafür. In erster Linie seelische. Hier im Studio sind alle in ihrer Kindheit missbraucht worden. Alle.“ (Alice Schwarzer HG, Prostitution, ein Deutscher Skandal, 2013, p. 171-178)

Auch Rosen Hircher, die mit 31 Jahren begann, sich zu prostituieren, sagt: „Es schien mir eine völlig natürliche Sache zu sein, was ich da tat. Ich wusste genau, wo ich hingehe. Und es schien für mich völlig normal zu sein, dort zu bleiben. Ich werde nie den ersten Satz einer Prostituierten vergessen, die mir gleich am ersten Tag sagte: „Dann hast du das schon dein ganzes Leben gemacht.“ Tatsächlich bin ich als Kind von meinem Onkel sexuell missbraucht worden. Mein Vater war Alkoholiker und extrem gewalttätig. Ich war also von meiner Kindheit an Gewalt durch Männer gewöhnt.“ (Rosen Hircher, Une prostituée témoigne, 2009)

Eine Vielzahl von Studien belegt heute, dass der Einstieg in die Prostitution über Gewalterfahrungen in der Kindheit verläuft.Folie04

  • Hier die Studien von 2003 von Melissa Farley in rot: (Schautafel) körperliche Misshandlung 49 %, sexuelle Gewalt 63%. (Farley, « Prostitution and Trafficking in Nine Countries : An Update on Violence and Post-traumatic Stress Disorder », 2003)
  • Es ist sogar eine Studie vom Bundesministerium für Frauen in 2004 von Schröteler und Müller mit 110 Frauen in der Prostitution veröffentlicht worden: 56 % waren als Kinder Zeuge von häuslicher Gewalt, 73 % erlebten körperliche Züchtigung durch die Eltern und 43 % sexuellen Missbrauch. (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend : Gender Datenreport, 2004)
  • Eine Studie von Zumbeck aus dem Jahr 2001 zeigt auch sehr hohe Zahlen in Bezug auf Gewalterfahrungen in der Kindheit auf: 65% erlitten körperliche Gewalt und 50% sexuelle Gewalt als Kind. (Zumbeck, Sibylle: « Die Prävalenz traumatischer Erfahrungen, Posttraumatische Belastungsstörungen und Dissoziation bei Prostituierten », Hamburg, 2001)

Es handelt sich hier demnach nicht um zwei Bevölkerungsgruppen, also einmal die Gruppe der Happy-Sexworkerin und dann noch die Gruppe der Kinder, die Missbrauchserfahrungen machten. Nein, es ist ein und dieselbe Bevölkerungsgruppe. Es sind die Kinder, die man damals im Stich ließ und die nun ein zweites Mal im Stich gelassen werden.

Das System Prostitution benutzt diese traumatisierten Kinder für ihr eigenes Interesse. Es sind Traumafolgestörungen, die aus solch einer Kindheit entstehen. Drei psychische Mechanismen können dann daraus resultieren:

  • Täterintrojekte: Missbrauchsopfer entwickeln Bewältigungsstrategien in unsicheren Bindungen, d. h. sie passen sich an und verinnerlichen die Erwartungen, die der Erwachsene vermeintlich an sie stellt (sogenannte Täterintrojekte). Opfer stellen sich ganz auf die Bedürfnisse des Täters ein. Eigene Gefühle und Bedürfnisse werden nicht mehr wahrgenommen. Selbstschutz und Selbstfürsorge gehen so verloren. Gewalt ist dann ein bekanntes Muster und kann ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. So greifen Traumatisierte oft auf vertraute Beziehungsmuster zurück und nehmen Gewalt leichter in Kauf.  Opfer von Missbrauch entwickeln oft Gefühle der eigenen Wertlosigkeit, Schuld und Scham. Negative Selbstbewertungen wie: „Ich habe nichts Besseres verdient“ oder: „Wenn ich mich selbst erniedrige ist alles in Ordnung“, können sich so ein Leben lang manifestieren. Die Vorstellung, als Person wertlos, moralisch minderwertig und schuldig zu sein, kann mit der Überzeugung verbunden sein, Misshandlung und Strafe zu verdienen, was auch zu selbstverletzendes Verhalten führen kann, wozu Prostitution übrigens auch gehört.
  • Wiederholungszwang: Durch ein erneutes Aufsuchen entsprechender Situationen, dieses Mal aber in einer anderen Rolle, und zwar in einer, in der man die Situation scheinbar besser steuern kann, kann kurzfristig ein Gefühl der Kontrolle gewonnen werden.
  • Die Dissoziation: Diesen Punkt möchte ich vertiefen.

Ein wichtiger Mechanismus, den das System Prostitution für seine Zwecke benutzt, ist die Dissoziation:

Michaela Huber sagt folgendes zur Dissoziation:

„Um fremden Menschen die Penetration des eigenen Körpers zu ermöglichen, ist ein Abschalten natürlicher Phänomene erforderlich, die sonst unweigerlich wären: Angst, Scham, Fremdheit, Ekel, Verachtung, Selbstverurteilung, Schmerzen. An die Stelle tritt Gleichgültigkeit, Verhandeln, ein sachliches Verständnis der Penetrationserfahrungen, Umdefinieren der Handlung in eine Arbeit oder Dienstleistung. Die meisten Frauen in der Prostitution haben bereits sehr früh durch sexuelle Gewalt in der Kindheit gelernt, sich abzuschalten“. (http://www.michaela-huber.com/files/vortraege2014/trauma-und-prostitution-aus-traumatherapeutischer-sicht.pdf, 02.01.2015)

Mit anderen Worten, die meisten Frauen in der Prostitution dissoziieren. Was aber ist Dissoziation?

Dissoziation ist eine Unterbrechung der integrativen Funktionen:

  • Das Bewusstsein und Gedächtnis sind beeinträchtigt, wir sind in einem Trance-Zustand. Wir können uns auch danach nicht mehr an alle Sachen erinnern.
  • Der Körper und die Selbstwahrnehmung funktionieren bei der o. g. Unterbrechung auch nicht: Taubheitsgefühle können entwickelt werden. Wir fühlen uns wie weggetreten, haben den Eindruck, wir schauen uns einen Film an und als ob das, was geschieht, uns nicht betreffen würde.
  • Die Umgebungswahrnehmung wirkt etwa wie durch einen ein Tunnelblick oder alles wird im Nebel gesehen.
  • Die Identität ist natürlich auch betroffen. Wir spielen z. B. eine Rolle. Es kann eine Verwirrung über die eigene Identität auftreten oder wir switchen, gehen also phasenweise in eine ganz andere Rolle und wissen oft gar nicht mehr, wer wir sind. Dabei können sich auch sehr schwerwiegende Störungen entwickeln, z.B. multiple Persönlichkeitsstörungen.

An dieser Stelle frage ich mich folgendes: Wenn man nicht mehr weiß, wer man ist, nicht vollständig anwesend ist und die Umgebung sowie den eigenen Körper nicht mehr richtig wahrnehmen kann, ist das Freiheit? Ist das Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung? Ist das ein Job wie jeder andere?

Die Dissoziation kann man nicht ein- und ausschalten wie man es will. Das ist kein Schalter, den man umlegen kann, nach dem Motto: „So, jetzt bin ich mal kurz im Bordell und dissoziiere mich, und dann geh ich heim und bin nicht mehr dissoziiert“. Das funktioniert so nicht.

Es kann sein, dass die Dissoziation lange oder gar ein Leben lang bestehen bleibt, es kann aber auch passieren, dass sie irgendwann nicht mehr funktioniert. Das ist das, was Sabine Constabel beobachtete. Am Anfang scheinen Frauen noch eine riesige Schutzmauer zu haben, die aber irgendwann zusammenbricht und dann können sie nicht mehr. Sie können nichts mehr machen und sie verlangen nur noch nach Drogen.

Es gibt auch integrative Funktionen, die dauerhaft ausgeschaltet bleiben. Für mich als Therapeutin ist es auch erstaunlich, zu sehen, wie Frauen nach einer gelungenen Therapie jedes Mal wieder Zugang zum Leben finden. Sie sagen selbst, sie hätten unter einer Käseglocke gelebt. Sie sagen mir dann auch nicht selten: „Jetzt kann ich wieder Schmerzen empfinden“. Vorher hatten sie sich oft gefragt: „Ah, da hab ich einen blauen Fleck, wie ist denn das passiert?“. Die Schmerzempfindung war offensichtlich reduziert gewesen. Oder Frauen sagen: „Das Essen hat jetzt einen Geschmack“ oder: „Ich kann Gerüche wahrnehmen“ oder: „Ich verstehe jetzt meine Geschichte und ich verstehe, wer ich bin“.

Wenn wir nur die Dissoziation hätten, mit der wir uns auseinandersetzen, dann würden wir über Schäden reden, die sich darauf begrenzen würden. Wir haben aber auch das traumatische Gedächtnis: La mémoire traumatique. Ich übernehme dafür die französische Bezeichnung, die, wie ich finde, sehr zutreffend ist.

Während der Dissoziation ist das Gehirn zum großen Teil eingefroren, etwa wie unter Anästhesie. Unter traumatischem Stress kommt es zu einem Zusammenbruch der integrativen Funktionen. Die prostituierten Frauen erleben aber das, was ihnen passiert, natürlich trotzdem. Dieses Erleben wird zum Teil in einer bestimmten Struktur des Gehirns abgespeichert: Das Trauma-Gedächtnis. Dieses Teil des Gehirns funktioniert nicht nach demselben Prinzip wie der Hippocampus oder unser Kortex. Er ist vielmehr vergleichbar mit einer Black-Box.

Man kann das hier auf dem Bild sehen. Hier sieht man eine Aufnahme des Gehirns einer Frau, die traumatisiert ist. Man hat sie konfrontiert mit Bildern, die sie an das traumatische Folie10Geschehen erinnern. Wir können erkennen, dass nur ein Teil des Gehirns funktioniert. Das Trauma-Gedächtnis wird aktiviert. Es ist wie eine Black-Box, auf die wir keinen willentlichen Zugriff haben und bei der wir in der Regel nicht einmal wissen, dass sie existiert.

Dieses Gedächtnis hat Traumamaterial gespeichert, dieses jedoch völlig ungeordnet, ohne zeitliche und räumliche Orientierung. Es ist nicht semantisch, d. h. es kann die Dinge nicht in Worte fassen. Es handelt sich hier, wenn man so will, um eine völlig andere, neue Welt.

Wenn Sie jetzt einen Knall hören, dann können Sie sagen: „Das ist ein Knall, der hat zwei Straßen weiter stattgefunden. Und das ist nichts Gefährliches.“

Wenn das oben beschriebene Gehirnareal aktiviert ist, dann können sie das nicht mehr sagen. Es ist dann so, als würden sie jetzt, in diesem Moment, wieder das Trauma erleben, und zwar in voller Intensität. Das ist ein Flashback. Und das ist das, was eine posttraumatische Belastungsstörung ausmacht. Ich habe Ihnen also gerade erklärt, was eine posttraumatische Belastungsstörung ist. Mit anderen Worten kann man sagen, dass diese Frauen in ihrem Gehirn eine Zeitbombe tragen, die jederzeit explodieren kann. (Dre Muriel Salmona, « La dissociation traumatique et les troubles de la personnalité », 2013. http://www.memoiretraumatique.org/)

Es ist mir wichtig, dass Sie folgendes erkennen: Das System Prostitution profitiert vom Zustand der Dissoziation insofern, als die Frauen nicht in der Lage sind, sich zu wehren, weil sie paralysiert sind. Sie stellen ihren Körper quasi zur Verfügung und erleben durch diese Wehrlosigkeit erniedrigende und demütigende Dinge.

In der Prostitution werden die Frauen nicht gesund. In der Prostitution werden die Frauen, ganz im Gegenteil, mehr und mehr traumatisiert. In einem dissoziativen Zustand erleben sie immer mehr Traumatisches. Und die Black-Box wird entsprechend immer größer, da immer mehr Traumamaterial hinzukommt. Dann kann das Leben wirklich zur Hölle werden.

 

  1. Die Folgen sind erheblich:
  • Melissa Farley hat herausgefunden, dass 68% der Frauen in der Prostitution eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt haben, die in ihrer Schwere vergleichbar mit der von Kriegsveteranen oder Folteropfern ist.
  • Die Studie von Zumbeck in Deutschland von 2001 stellt fest, dass 60% der Frauen in der Prostitution eine voll ausgeprägte PTBS haben.

Das Gehirn erleidet einen Schaden, der seinerseits schwerwiegende Folgen verursacht. Das Leben wird zur Qual, denn die Frauen treten ständig auf Minenfelder, sie werden überall getriggert. Es passieren immer wieder Explosionen im Gehirn.

Soviel zur PTBS als Traumafolgestörung. Meistens stelle ich jedoch nicht nur eine Diagnose. Vielmehr weisen die Frauen in der Regel mehrere Diagnosen auf: Neben einer PTBS ist vielleicht noch eine Agoraphobie, eine Somatisierungsstörung oder Suchterkrankung etc. vorhanden. Das ist nicht alles, was passieren kann, sondern das, was ich jetzt einmal als Verdeutlichung und zur Veranschaulichung aufgezählt habe. Es gibt auch noch andere Erkrankungen, die bei diesen Frauen diagnostiziert werden. Sie sind nicht alle in der Tabelle abgebildet.

 

  1. Die Verleugnung der Realität:

Deutschland führte im Jahre 2002 ein Prostitutionsgesetz ein, das die Prostitution vollständig legalisierte, und zwar ohne jegliche Reglementierung. Man hat damit aus der Prostitution einen Beruf wie jeden anderen gemacht. Man dachte, dass es nicht die Prostitution sei, die traumatisierend wirke, sondern die damit verbundene gesellschaftliche Stigmatisierung. Also, wollte man von nun an die Frauen aufwerten, indem man sie möglichst nicht mehr „Prostituierte“, sondern „Sexarbeiterinnen“ nannte. (Diese Argumentation verfolgt übrigens auch die Organisation Amnesty InternationaI (AI), seitdem sie sich für eine Legalisierung der Prostitution ausgesprochen hat)

Das Resultat, 13 Jahre nach der Einführung dieses Gesetzes, sieht wie folgt aus:

  • Man kann eine Industrialisierung der Prostitution beobachten:
    • Dieser Sektor macht einen jährlichen Umsatz von 14,6 Milliarden Euro (mehr als die Auto-Industrie!) mit 3500 registrierten Bordellen. (Michael Jürgs,Sklavenmarkt Europe, 2014, p. 327)
    • Es wurden Mega-Bordelle mit einer Kapazität für über 1000 Sexkäufer geschaffen. (Chantal Louis : « Die Folgen der Prostitution », Alice Schwarzer HG,Prostitution,ein Deutscher Skandal, p. 70-87)
    • Flate-Rate-Angebote sind entstanden: Für 60,–€ kann man ein Bier, eine Wurst und unbegrenzt Frauen kriegen.
    • Sextouristen müssen nicht mehr nach Thailand fliegen: Sie kommen aus der ganzen Welt nun nach Deutschland, sogar in Gruppen. Mit Bussen werden sie direkt vom Frankfurter Flughafen in die Bordelle gefahren.
    • Die Nachfrage ist gestiegen. Heute zählen wir ungefähr 400.000 Frauen in der Prostitution. Ungefähr 1,2 Millionen Männer kaufen sich täglich Frauen. (TERRE DES FEMMES :http://frauenrechte.de/online/index.php/themen-und-aktionen/frauenhandel/prostitution)
  • Das Einkommen der Frauen ist gesunken: 30,–€ kostet einmal Geschlechtsverkehr für den Kunden bei täglichen Mietkosten von ca. 160,–€ für die prostituierte Frau. Auf der Straße kriegt man Geschlechtsverkehr schon ab 5,–€.
  • Eine Banalisierung der Prostitution ist eingetreten, die nun mit diesem Gesetz endgültig zu einer strukturellen Gewalt geworden ist. Hier ein paar Beispiele:
    • Der offizielle Tourismus-Führer von München macht für mindestens 5 Bordelle Werbung.
    • Es werden in der Münchner Innenstadt ganz offiziell Frauen angesprochen, um sie dazu zu überreden, als Escort-Frauen zu arbeiten.
    • Es ist nichts außergewöhnliches, wenn junge Männer ihren Schulabschluss im Bordell feiern.
    • In Berlin wird für die neuen Studenten eine Führung durch das Rotlichtmilieu angeboten.
    • In Karlsruhe, der Stadt, in der ich lebe, wurde ein Fitness-Club für Frauen von einem Bordell-Besitzer verklagt, weil er zu laute Musik am Abend spielte und die Sexkäufer sich dadurch belästigt fühlten. Der Bordellbetreiber gewann den Prozess. Dieses Gesetz schützt nicht die Frauen, sondern anscheinend nur Männer!
  • Das ursprüngliche Ziel dieses Gesetzes, die Frauen zu schützen, ist völlig gescheitert: Von den o. g. 400.000 prostituierten Frauen haben sich nur 44 als Selbstständige bei den Sozialversicherungen angemeldet. Das heißt also, dass nur 44 von insgesamt mindestens 400.000 Prostituierten den Sozialversicherungsschutz überhaupt nutzen, für den das Gesetz offiziell gemacht wurde. Die allermeisten Prostituierten befinden sich weiterhin in der Illegalität, was bedeutet, dass sie keinerlei Sozialversicherungen haben, z. B. nicht krankenversichert sind, dass sie also nicht zum Arzt gehen können, weder wenn sie nur eine leichte Grippe haben, noch bei schwerwiegenderen Erkrankungen.
  • Die Sexkäufer sind perverser und die Praktiken entsprechend gefährlicher geworden. Die Gewalt gegen prostituierte Frauen hat sich dadurch natürlich erhöht. Prostituierte erleben durch diese Entwicklung den mangelnden Schutz als bedrohlicher denn je.

Studien, bezüglich der Gewalt in der Prostitution, wurden ebenfalls durchgeführt:

  • Studie von Melissa Farley, 2008:
    • 82% der Frauen wurden in der Prostitution körperlich angegriffen.
    • 83% wurden mit einer Waffe bedroht.
    • 68% wurden in der Prostitution vergewaltigt.
    • 84% waren zur Zeit der Befragung oder früher einmal obdachlos.
  • Studie von Zumbeck, 2001: 70% wurden körperlich angegriffen. (Zumbeck, Sibylle: « Die Prävalenz traumatischer Erfahrungen, Posttraumatische Belastungsstörungen und Dissoziation bei Prostituierten », Hamburg, 2001)Folie16
  • Studie des Bundesministerium: 82% nannten Formen von psychischer Gewalt, 92% erlebten sexuelle Belästigung. («Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend : Gender Datenreport », 2004)

Wenn man diese Zahlen betrachtet, erscheint es doch schwierig, von einem Job wie jedem anderen zu sprechen. Und diese Recherchen stammen von vor 10 Jahren. Die Situation ist in Deutschland seitdem viel schlimmer geworden.

Das sagte Ellen Templin schon 2007 dazu in einem Interview: „Seit der Reform des Prostitutionsgesetzes sind nicht nur die Anzeigen enthemmter geworden, sondern auch die Freier brutaler. Von einem Tag auf den anderen. Wenn man sagt: ‚Das mache ich nicht‘, antworten die heutzutage: ‚Hab dich nicht so, das ist doch dein Beruf!‘ Früher waren die Anzeigen für ungeschützten Sex verboten. Heute fragen die Freier schon am Telefon: ‚Kann ich dir ins Gesicht spritzen? Machst du´s auch ohne? Machst du´s anal, vaginal oder oral?‘ All das ist jetzt gang und gäbe. Früher hatten die Freier wenigstens noch ein schlechtes Gewissen. Das gibt es heute nicht mehr. Sie wollen immer mehr.“  (p. 171-178, Alice Schwarzer HG., Prostitution, ein Deutscher Skandal, 2013)

In vielen Freierforen brüsten sich Männer, wie sie die Prostituierte „rangenommen“ haben und bewerten sie. Sie sehen es offensichtlich als ihr Männerrecht, Frauen zu bewerten und in jeglicher Weise zu benutzen. So liest sich beispielsweise ein Beitrag wie folgt: „Ich zog ihr die Arschbacken auseinander und schob ihr langsam meinen Schwanz in den Arsch, was sie mit leisem Jaulen quittierte. Als ich mich dem Ende näherte und sie immer heftiger fickte, wollte sie, dass ich aufhöre und sie lieber in die Muschi ficken sollte. Unter normalen Umständen hätte ich das… mir war aber nun mal nicht danach… sorry Vanessa. Nach ein paar weiteren Stößen schoss ich meine Ladung in die Tüte und schob ihn ihr nochmals bis zum Anschlag rein…“ (www.freiersblick.de)

Es zirkulieren Menü-Listen mit Freierwünschen wie die, die man auf der Internet-Seite (www.traummaennlein.de) findet. (Siehe unten die Menü-Liste)

Kürzlich habe ich eine neue Studie von Meilssa Farley erhalten, in der sie belegt, dass Sexkäufer ähnliche emotionale Strukturen aufweisen wie sexuell gewalttätige Männer, und zwar mangelnde Empathie, das Fehlen von schlechtem Gewissen, ein antisoziales Verhalten, eine Präferenz für unpersönlichen Sex, eine ablehnende Haltung Frauen gegenüber und das Bestreben, sie dominieren zu wollen. (http://prostitutionresearch.com/wp-content/uploads/2015/08/Sex-Buyers-Compared2015.pdf)

Der Sexkäufer ist also nicht der nette Nachbar von nebenan, der nur mal ein bisschen Sex braucht. Nein, Prostitution zieht Psychopathen an und fördert bei Männern antisoziales Verhalten. Es ist doch offensichtlich, dass diese Verhaltensmuster nicht hinter den Mauern der Bordelle abgelegt werden und dort dann verschlossen bleiben, sondern dass sie vielmehr unsere gesamte Gesellschaft durchdringen und sie kontaminieren.

Laut den Beobachtungen von Sabine Constabel, einer Sozialarbeiterin, die seit 20 Jahren in Stuttgart mit Prostituierten Frauen arbeitet, hat sich das Problem mit der Zeit völlig verlagert. „Ca. 30% sind unter 21 Jahre alt. Sie kommen aus den ärmeren EU-Ländern aus dem Osten. Sie werden meistens von ihren Familien geopfert. Der Ertrag von ihrer Tätigkeit geht an die Familie. Die Mehrheit spricht kein Deutsch, manche sind noch nicht einmal alphabetisiert. Sie „arbeiten“ nicht professionell. Sie praktizieren keinen Safer Sex, können keine Grenzen setzen, nicht verhandeln. Sie sind in einer sehr unterlegenen Situation. Sie haben nicht die Macht, ihre Ansprüche durchzusetzen. Für 30,–€ machen sie alles was die Freier möchten. Es sind Mädchen, die überhaupt keine Vorerfahrungen in der Prostitution haben. Sie sind auch nicht sexuell freizügig aufgewachsen und machen meistens ihre erste sexuelle Erfahrung in der Hochzeitsnacht, nachdem sie verheiratet wurden. Diese jungen Frauen kommen nach Deutschland und sind hier den Freierwünschen ausgesetzt. Sie sind komplett überfordert, komplett traumatisiert. Viele verlangen nach ihren ersten Erfahrungen Psychopharmaka und Drogen. Sie sagen, anders sei ‚dieses Geschäft‘ nicht auszuhalten. Manche Frauen sind nur wenige Wochen da und sagen: ‘Ich bin hier gestorben, ich kann nicht mehr lachen‘. Manche halten es Jahre aus und sagen: ‚Ich hab Kinder zu Hause und muss noch durchhalten‘. Die Frauen sind sehr traumatisiert, sie entwickeln Depressionen, Albträume, körperliche Schwierigkeiten. Sie reagieren psychosomatisch, haben Bauchschmerzen. Sie sind krank und fühlen sich auch krank. Es breitet sich eine ganz große Hoffnungslosigkeit in ihnen aus. Sie wollen diese schreckliche Arbeit nicht mehr tun.“ (https://www.youtube.com/watch?v=BpCPKDRcFg0, 17.10.2013) 

Um abzuschließen, möchte ich Michaela Huber sprechen lassen, die sich in diesem Zusammenhang die Frage stellt: „Was ist das? Die Gesellschaft muss sich ein Bild darüber machen, was hier passiert. Wie hat sich Sexualität von Partnerschaft, Liebe, Kinder erziehen abgekoppelt? Wollen wir das? Das ist doch ein Gespräch, das in unserer Gesellschaft stattfinden sollte. Wollen wir dulden, dass Millionen von Männern jeden Tag einen Körper für sich kaufen können, um ihn penetrieren zu können? Finden wir das richtig? Was ist das für eine Gesellschaft, die so etwas selbstverständlich findet? Welche Gesellschaft kann so etwas gerecht finden?“ https://www.trauma-and-prostitution.eu/2015/01/22/eiszeit-der-ethik/

 

Korrekturleserin: Firdes Ceylan, World Language Team

 

Hier eine Auflistung von Sex-Leistungen, die man in Form einer „Menü-Liste“ erhalten kann:

  • AF = Algierfranzösisch (Zungenanal)
  • AFF = Analer Faustfick (die ganze Hand im Hintereingang)
  • AHF = Achselhöhlenfick
  • = Aufnahme (zumeist des Spermas) in den Mund
  • AO = alles ohne Gummi
  • Braun-weiß = Spiele mit Scheiße und Sperma
  • BS = selten: blood sports (Spiele mit Blut, z.B. Schnitte zufügen)
  • BV = Brustverkehr, auch Tittenfick genannt
  • DP = Doppelpack (Sex mit zwei Frauen) oder: double Penetration (zwei Männer in einer Frau)
  • EL = Eierlecken
  • FAa = Finger-Anal aktiv (Frau fingert Partner in den Po)
  • FAp = Finger-Anal passiv (Frau lässt sich in den Po fingern)
  • FF = Faustfick
  • FFT = Faustfick total
  • FN = Französisch natur, also ohne Gummi
  • FO = mehrdeutig: a) Französisch ohne Gummi, b) Französisch optimal: dasselbe wie a), aber mit Aufnahme, also mit Abspritzen in den Mund, c) dasselbe wie b), aber zusätzlich mit Schlucken
  • FP = Französisch pur (Blasen ohne Gummi und ohne Aufnahme)
  • FT = Französisch total doppeldeutig: Blasen ohne Gummi mit Spermaschlucken und seltener: Blasen ohne Gummi bis zum Finale, aber ohne Schlucken
  • GB = Gesichtsbesamung (manchmal auch Gangbang, also Gruppensex, aber mit deutlichem Männerüberschuss)
  • GS = Gruppensex
  • KB = Körperbesamung
  • KKK = Kniekehlenfick
  • KVa = Kaviar aktiv (Frau scheißt auf Mann, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes)
  • Kvp = Kaviar Passiv (Frau lässt sich anscheißen)
  • MA = mit Aufnahme (zumeist des Spermas) in den Mund
  • MV = mit Vollendung (die Sexpraktik – meistens steht mV in Verbindung mit Blasen ohne Gummi – wird bis zur Ejakulation fortgesetzt)
  • NSa = Natursekt aktiv (Frau pinkelt auf Mann)
  • Nsp = Natursekt passiv (Frau lässt sich anpinkeln)
  • OV = Oralverkehr (Blasen, Lecken)
  • RRR = rein-raus-runter
  • Spanisch = Tittenfick
  • SpZK = Spermazungenküsse (man kann auch mit vollem Mund küssen)
  • SS = Spermaschlucken oder Straßenstrich
  • SW = Sandwich, eine Frau zwischen zwei Männern
  • tbl, = tabulos, ALLES ist erlaubt –
  • TF = Tittenfick
  • ZA = Zungenanal (am / im Hintereingang lecken)