Ein Text von Rosa Makstadt, am Weltfrauentag, den 08.03.2020.
Weltweit fanden schon am Samstag, dem 7. März 2020, ein Tag vor dem offiziellen internationalen Frauentag Veranstaltungen statt. Unsere Aktion auf dem Markplatz in Karlsruhe bot uns dabei unerwartet Einblicke in die tiefen Abgründe in unserer Gesellschaft. Unter den Passanten, die neugierig auf unsere Fahnen und Flyer reagierten, waren auch Männer, die mit uns ins Gespräch kamen. Das Thema Sexkauf und unsere Einstellung dazu lag offen auf dem Tisch und die Männer hielten mit den Schilderungen ihrer Erfahrungen und Ansichten nicht zurück.
Scherzhaft konterte ein Mann mittleren Alters, er gehe nicht ins Bordell, weil er verheiratet ist. Implizierte er damit, dass Sexkauf für unverheiratete Männer in Ordnung ist? Auf meine Antwort, dass mindestens jeder dritte Mann ein Sexkäufer ist, und darunter sicher auch Ehemänner, hörte er auf zu schmunzeln und wurde seriös: „Nein. Jeder zweite Mann, wenn nicht sogar mehr, kauft Sex.“
Später näherte sich ein junger Mann der Millennialgeneration zaghaft unseren Fahnen. Als ich ihm eine Broschüre hinhielt, beginnt er plötzlich Klartext zu sprechen: „Meiner Meinung nach waren 95% aller Männer schon mal in einem Bordell. Ich kenne nämlich keinen, der nicht mal im Puff war.“
Diese zwei voneinander unabhängige Aussagen zweier Männer in unterschiedlichem Alter treffen mich wie Schläge. Ich merke, wie ich dissoziere, um diese Aussagen zu ertragen. Es würde nämlich bedeuten, dass mindestens jeder zweite Mann, wenn nicht sogar mehr, auf der Straße, im Einkaufszentrum, in der Arbeit oder im eigenen Familien- und Freundeskreis mindestens einmal in seinem Leben Freier war oder sogar noch ist? Was bedeutet dies für unsere Gesellschaft, für die Familien, für die Ehepartnerinnen und Freundinnen und überhaupt: Was bedeutet das für alle in Deutschand lebenden Mädchen und Frauen?
Die Ernsthaftigkeit und der Nachdruck mit dem beide Passanten sich mir aus eigenem Redebedürfnis heraus mitteilten, lässt mich vermuten, dass beide entweder aus eigenen Gesprächen oder Erfahrungen mit ihren männlichen Bekanntenkreisen wissen, dass sehr viele Männer Sex gekauft haben oder dass sie es Männern generell zutrauen, dass sie Frauen für Sex gegen Bezahlung benutzen.Im Laufe des Nachmittags trat ein weiterer junger Mann an uns heran, nennen wir ihn hier B. Anfangs reagierte B. positiv auf die Aktion und lobte die Initiative. Auf die darauffolgende Ermunterung Teil der Gruppe „Männer gegen Sexkauf“ zu werden, reagierte er jedoch zögernd. Für B. ist klar, würde er sich öffentlich gegen Sexkauf aussprechen, würden andere Männer ihn nicht mehr ernst nehmen.
Vorallem Männer sind passiv im Kampf gegen Sexkauf, weil sie Angst davor haben von der überwältigenden Anzahl der Sexkäufer diffamiert zu werden. Viele fürchten sich eine öffentliche und private Haltung gegen Sexkauf könnte bedeuten von ihren sozialen Gruppen isoliert zu werden. Die Bordellgänger sind in der Überzahl und die Anderen ordnen sich ihnen unter.
Mit einem Seitenblick auf die Aktivisten mit den Fahnen, stellte B. enttäuscht fest: „Es sind ja keine jungen Männer in meinem Alter dabei.“ Ich weise auf einen Mann unter uns hin, der Mitte 30 ist und eine Fahne hochhält. B. bleibt skeptisch: „Es ist nur einer.“ Unter den jungen Männern, die er kennt, wird nämlich zum Feiern des Führerscheins und Geburtstages oder einfach an einem Samstagabend anstatt in eine Bar in ein Bordell gegangen. Das sei alles ganz „normal“. B. fügt hinzu er selber sei schon einmal bei einem dieser Bordell-Gruppenbesuche dabei gewesen. Er hätte die Prostituierte bezahlt, aber es sei zwischen ihnen nichts passiert, fügte er rasch hinzu und erklärte: „Weil es sich nicht richtig anfühlt mit einer Frau Sex zu haben, die man nie zuvor gesehen hat. In einer echten Beziehung kenne und liebe ich die Frau doch.“
Trotz dieser Erkenntnis, dass Sexkauf für diejenigen Männer die Intimität und Nähe suchen, diese nur vortäuscht, wiederholen viele Männer wie B. den Mythos der Freiwilligkeit, der in den Medien dominierend kusiert. Zum Beispiel konnte B. zwar wahrnehmen, dass Sexkauf sich falsch anfühlte, ihm fehlte aber wie vielen in unserer Gesellschaft die Sprache und die Fähigkeit diese Wahrnehmung richtig einzuordnen. Die kulturelle Erziehung mit der Omnipräsenz und ständigen Wiederholung von Prostitutionsmythen in Medien und Popkultur hat viel geleistet: Die Botschaften der Prostitutionsideologie und der Prositutitonslobby werden von den Menschen, die in dieser Gesellschaft sozialisiert worden sind, übernommen, werden als eigenen Einstellungen gesehen oder können nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden, da diese Mythen in der Popkultur und der Gesellschaft dominieren. Somit verringert sich auch die Chance die Wahrheit über die Schäden der Prositution zu kennen geschweige denn eine bewusste Ablehnung gegenüber Sexkauf zu entwickeln. In der Tat scheint es so, dass die Mehrheit zwar die Botschaften der Prositutionsmythen als ihre eigene Einstellung, der ihre innerste sexuelle Identität ausmacht, verinnerlicht. Es ist aber möglich diese Sozialisierung zu überwinden und neue, wahre und eigene Sichtweisen bewusst zu erlangen.
Mir war bisher klar, dass Freier, Bordellbetreiber und Profiteure der Prostitution ihren aktiven Teil und Schuld an der Ausbeutung von Frauen tragen. Aber das Ausmaß, dass die Wurzel des Übels schon viel tiefer in der Gesellschaft sitzt, ist weitaus größer als die meisten nur ahnen. Für viele Männer sind die Frauen in der Prostitution „dreckig“. Insgeheim gilt auch für B., dass der Sex mit einer solchen Frau „dreckig“ ist, weil die Prostituierte als „dreckig“ gilt. Ob die Männer, die diese Frau für Sex benutzen dreckig sind, erwähnte B. nicht. Ein Mann wie B. unterscheidet sich von Freiern nur darin, dass er Frauen in der Prostitution nicht sexuell benutzt. Seine Einstellung zu Frauen sind dennoch überschattet von frauenverachtenden Meinungen, die Frauen eindeutig in dreckige, zur Benutzung für alle Männer freigegebene Frauen und nicht dreckige, zur Benutzung eines einzigen Mannes, einteilt. Der gewöhnliche, ganz normal wirkende B. erscheint mir repräsentiv für diejenigen Männer, die zwar selbst keinen Sex kaufen, aber dennoch von den frauenverachtenden Wirkung der Prositution auf die Gesellschaft beeinflusst sind.
Dass die Gespräche einen bitteren Nachgeschmack hinterließen ist noch milde ausgedrückt. Die Männer erzählten uns, dass sicher so gut wie fast alle Männer von der herrschenden Prositutionskultur überzeugt sind, sie verinnerlicht und als ihren eigenen Kern angenommen hatten, Freier sind oder waren, oder bisher weder ernsthaft darüber nachgedacht noch Mut und Selbstbewusstsein dazu hatten, eine klare Stellung gegen Sexkauf zu beziehen. Stellen Sie sich vor, wie viele Frauen persönlich davon betroffen sind, verletzt, enttäuscht, hintergangen!
Für mich stellt sich die Frage: wie sollen sich Frauen zu Freier positionieren? Und wenn es so viele sind!, und so viele, die Sexkauf als mögliche Option verinnerlicht haben, was macht es mit unseren Beziehungen zu Männern aus? Sind freundschaftliche, geschäftliche, kollegiale Beziehungen noch möglich? Für mich nicht! Und für mich ist klar: Wir brauchen ein Sexkaufverbot um in Beziehung zu Männern bleiben zu können.
Rosa Makstadt