Expertinnen aus ganz Deutschland haben sich am 20.06.2014 in München getroffen, um die Situation der Frauen in der Prostitution zu diskutieren. Sie kamen einhellig zu dem Ergebnis, dass Prostitution an sich Gewalt gegen Frauen ist. Die Realität der Frauen in der Prostitution wird öffentlich, fachlich und politisch glorifiziert, bagatellisiert, ignoriert und geleugnet. Nach Ansicht der Expertinnen muss die Nachfrage nach Prostitution beendet werden, ein Sexkaufverbot sehen sie daher als unerlässlich an. Sie haben die Initiative Stop Sexkauf gegründet, die als Plattform für alle Gruppierungen und Personen fungieren wird, die eine grundlegende Lösung für die Frage der Prostitution anstreben.
Die Journalistin Sabrina Hoffmann nahm an diesem Netzwerktreffen teil und schrieb folgenden Artikel dazu:
von Sabrina Hoffmann
Zwei Jahre waren genug, um ihr Leben zu zerstören. Zwei Jahre hat Marie als Prostituierte gearbeitet. Männer demütigten, benutzten und schlugen sie. Mit Anfang 40 fing Marie an, ihren Körper zu verkaufen. Weil sie keinen anderen Ausweg aus ihrer finanziellen Not sah.
Es schien eine gute Möglichkeit, schnell an Geld zu kommen. Warum auch nicht, dachte sie sich. „Du bist eine erwachsene Frau. Du hast gelebt, du hast geliebt.“ Am Anfang fühlte sie sich sogar geschmeichelt. Denn Männer bezahlten dafür, mit ihr zu schlafen. Also musste sie etwas wert sein.
Doch Marie merkte bald, dass sie den Männern gleichgültig war. Für die Freier zählte nur, dass Marie ihre sexuellen Wünsche erfüllte, egal wie ausgefallen oder abartig sie waren.
Hier hörte Maries Freiheit auf. Wenn der Mann etwas wollte, das sie nicht mochte, tat sie es trotzdem. Weil sie das Geld brauchte.
Marie erlebte damals fast täglich sexuelle und körperliche Gewalt. Das ist ihr erst heute richtig bewusst, mit Anfang 50. Noch immer ist sie traumatisiert. Die Erinnerungen verfolgen sie. „Zum Beispiel daran, wie mir ein Mann seinen Penis ohne Kondom in den Mund rammte und ich an seinem Sperma fast erstickte“, sagt sie.
Marie, das ist nicht ihr richtiger Name. Auf dem Kopf trägt sie eine blonde Perücke, vielleicht damit sie niemand erkennt, wenn sie wie an diesem Tag bei öffentlichen Veranstaltungen spricht. Sie ist zu Gast im Kofra München, dem Kommunikationszentrum für Frauen zur Arbeits- und Lebenssituation. Und sie erzählt aus ihrem alten Leben. Marie ist eine der wenigen Ex-Prostituierten, die offen über ihre Erfahrungen reden.
Prostitution ist in Deutschland seit 2002 legal. Seitdem gibt es Flatrate-Bordelle, Menschenhandel, Sextourismus mitten in Berlin. Um diese Entwicklung zu bekämpfen, will die Große Koalition das Gesetz von damals verschärfen. Familienministerin Manuela Schwesig plant einen ersten Entwurf bis September.
Doch das ist vielen Experten nicht genug. „Sexkauf muss verboten werden“, fordern Frauenrechtlerinnen aus ganz Deutschland, die deshalb die Initiative „Stopp Sexkauf“ gegründet haben. Prostitution sei Gewalt gegen Frauen, schreibt Vorsitzende Anita Heiliger in einem Gastbeitrag bei Huffington Post.
Das Verbot von Sexkauf ist ein relativ neues Modell: Nicht die Prostituierten oder Bordell-Betreiber werden bestraft, sondern die Freier. Auch Marie kämpft für diese Idee, denn sie will nicht, dass noch mehr Frauen körperlich und seelisch ausgebeutet werden.
Sechs Gründe, warum das Sexkauf-Verbot kommen muss.
1. Das Bild von der selbstbestimmten Sexarbeiterin ist eine Lüge
In Frankfurt können Frauen neuerdings Führungen durch Bordelle mitmachen. Angeboten werden sie vom Verein „Dona Carmen“, der sich als Selbsthilfeorganisation für Prostituierte sieht und „Klischees“ über dieses Gewerbe widerlegen will.
Bei den Führungen präsentieren sich laut „Welt“ Frauen wie die 54-jährige Deutsche Frances Funk als selbstbewusste Sexarbeiterinnen, die ihre Freier voll im Griff haben.
Die Wirklichkeit sieht anders aus: „80 Prozent der Prostituierten kommen heute aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn“, sagt Sabine Constabel, Sozialarbeiterin und Leiterin des Frauen-Cafés „La Strada“ in Stuttgart, in dem Prostituierte Schutz und Hilfe finden.
Die Mädchen stammen aus den ärmsten Regionen dieser Länder. Oft gehören sie ethnischen Minderheiten an, die in ihrer Heimat keine Chance auf einen Job haben.
Ihre Familien sehen keinen anderes Ausweg, als die oft minderjährigen Mädchen in die Sexsklaverei nach Deutschland zu verkaufen. Sie werden in Flatrate-Bordellen ausgebeutet, von Puff zu Puff verschleppt. Manchmal verschwinden die Mädchen spurlos.
Nach wenigen Jahren sind die meisten von ihnen körperlich und psychisch am Ende. Constabel sagt: „Millionen junger Frauen werden hier versklavt und vernichtet.“
Die deutsche Polizei ist machtlos, denn Menschenhandel lässt sich schwer beweisen. Einzige Lösung nach Meinung vieler Experten: die Nachfrage auf Seiten der Freier eindämmen. „Wenn wir den Markt für Sexarbeit rechtfertigen, sind wir verantwortlich dafür, dass in diesem Moment ein 17-jähriges Mädchen aus Rumänien in einem Bus auf dem Weg nach Deutschland sitzt“, sagt Constabel.
2. Prostitution macht Frauen zum Objekt
Sexkauf ist Macht. Sexkauf ist Dominanz. Das älteste Gewerbe der Welt, heißt es. „Seit 30.000 Jahren dürfen sich Männer an Frauen bedienen“, sagt Florence Humbert vom Frauenrechte-Verein Terre des Femmes. „Und das nur aus einem Grund: weil sie mehr Macht haben.“
Die Gleichberechtigung ist in der Prostitution nicht angekommen. „Mehr als 90 Prozent der Sexarbeiter sind Frauen. Fast 100 Prozent der Sexkäufer sind männlich“, sagt Florence Humbert. Frauen, die Männer für Sex bezahlten, reisten oft in Länder wie Afrika. Denn dort seien die Macht-Verhältnisse umgekehrt: reiche, weiße Frau gegen armen, schwarzen Mann.
Viele Männer gehen ins Bordell, damit sie Machtfantasien und Frauenhass ausleben können. Das Frauenbild dieser Freier ist schockierend. In Internet-Foren schreiben sie Bewertungen über die Prostituierten, die sich lesen wie ein Auto-Test. Die Seite Freiersblick sammelt diese Berichte von Sexkäufern:
3. Männer sind keine triebgesteuerten Tiere
Befürworter der Prostitution behaupten, dass es ohne käuflichen Sex mehr Vergewaltigungen gäbe. Schauspieler Heiner Lauterbach zum Beispiel sagte vergangenes Jahr im TV-Talk „Menschen bei Maischberger“: „Es gibt Männer auf der Welt, die finden keinen Sexualpartner, weil sie beschissen aussehen oder etwas haben, was andere abschreckt. Und für die ist es nicht schlecht, wenn sie einen Partner finden, den sie bezahlen können, bevor sie sich einen Partner zwanghaft nehmen.“
Ein grässliches Bild: Der Mann als Sex-Bestie, die außer Kontrolle gerät, wenn sie keinen Druck ablassen kann. Für Florence Humbert von Terre de Femme ist das Quatsch. Sie sagt: „Mit Vergewaltigungen zu argumentieren, setzt ein extrem primitives Verständnis männlicher Sexualität voraus.“
4. Die Wünsche der Freier werden immer extremer
Prostitution ist da, um die sexuellen Bedürfnisse der Männer zu stillen? Es scheint genau umgekehrt zu sein: Nur, weil Prostituierte ausgefallene Dienstleistungen anbieten, haben Männer überhaupt das Verlangen danach. „Seit der Legalisierung der Prostitution am 1.1.2002 hat sich die Lage massiv zum schlechten gewendet“, sagte die Berliner Domina Ellen Templin 2010 im Freien Radio „Wüste Welle“.
Seit Prostitution gesetzlich erlaubt ist, wächst der Markt immer weiter. Um mithalten zu können, müssen die Frauen mit extremen Sex-Praktiken um Freier werben. Früher habe es in Anzeigen geheißen: „Heidi hat Zeit, sieht gut aus, ist vollbusig und erwartet Ihren Besuch.“ Heute hieße es: „Heidi ist geil, hat ‘n großen Kitzler und möchte ins Gesicht gespritzt werden“, sagte Ellen Templin in dem Radio-Interview.
Ein Blick in die Erotik-Anzeigen zeigt, wie breit das Angebot sexueller Dienstleistungen ist. Die Marburger Bürgerinitiative „Bi gegen Bordell“ hat gängige Abkürzungen aus den Annoncen gesammelt:
AF = Algierfranzösisch (Zungenanal)
AFF = Analer Faustfick
AHF = Achselhöhlenfick
Aufn. = Aufnahme (zumeist des Spermas) in den Mund
AO = alles ohne Gummi
Braun-weiß = Spiele mit Kot und Sperma
BS = selten: blood sports (Spiele mit Blut)
FAa = Finger-Anal aktiv (Frau fingert Partner in den Po)
FAp = Finger-Anal passiv (Frau lässt sich in den Po fingern )
FFT = Faustfick total
FP = Französisch pur (Blasen ohne Gummi und ohne Aufnahme)
GB = Gesichtsbesamung
GS = Gruppensex
KB = Körperbesamung
KKK = Kniekehlenfick
KVa = Kaviar aktiv (Frau setzt Kot auf Mann ab)
Kvp = Kaviar Passiv (Mann setzt Kot auf Frau ab)
SpZK = Spermazungenküsse
SS = Spermaschlucken oder Straßenstrich
SW = Sandwich, eine Frau zwischen zwei Männern
tbl, = tabulos, ALLES ist erlaubt
5. Prostitution macht körperlich und seelisch krank
Sex-Arbeit hinterlässt Spuren. Die Frauen leiden oft ihr ganzes Leben unter den Folgen, auch dann noch, wenn sie den Ausstieg längst geschafft haben. Sie haben unheilbare oder chronische Krankheiten, darunter nicht nur sexuell übertragbare. Die meisten Frauen sind schwer traumatisiert.
Es gibt nicht viele verlässliche Zahlen, aber eine Studie des Bundesministeriums für Familie von 2004 brachte eindeutige Ergebnisse: Fast 90 Prozent der vom Ministerium befragten Prostituierten hatten mindestens eine Form von körperlicher Gewalt erlebt. Fast 60 Prozent auch sexuelle Gewalt. 36 Prozent der Frauen wurden von Freiern verletzt. Sie erlitten Prellungen und Verletzungen in der Vagina, hatten Unterleibsschmerzen oder offene Wunden.
Noch mehr als der Körper leidet die Seele. Eine Studie mit Prostituierten aus neun Ländern von 2004 ergab, dass 68 Prozent dieser Frauen Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung zeigten, die man sonst von Soldaten oder Verbrechensopfern kennt.
6. Schweden hat Sexkauf 1999 verboten. Dieser Schritt war ein Erfolg
Es gab viele Versuche, Prostitution zu bekämpfen: Die Frauen wurden bestraft, Zuhälterei und Bordelle verboten. Das alles brachte wenig. Schweden ging einen anderen Weg – und verbot 1999 als erstes Land den Kauf von Sex.
Den Freiern drohen Geldstrafen und Haft, die Prostituierten machen sich nicht strafbar. Denn sie handeln oft aus finanzieller Not heraus oder unter Zwang. Die Freier sind es, die sich entscheiden können.
Das schwedische Modell hat Erfolg: Seit Einführung des Gesetzes habe sich die Straßenprostitution im Land halbiert, berichtete die schwedische Justizkanzlerin Anna Skarhed im März bei einer Veranstaltung der Zeitschrift „Emma“ in der schwedischen Botschaft in Berlin. Dass sich die Prostitution wie befürchtet in den Untergrund verlagert habe, sei durch Untersuchungen „komplett widerlegt“.
Das Verbot hilft den Behörden außerdem, Sex-Sklaverei in Schweden zu bekämpfen. „Es gibt uns nämlich die Möglichkeit, in die Menschenhandelsstrukturen hineinzukommen“, sagte der Göteborger Staatsanwalt Thomas Ahlstrand, der auch bei der Veranstaltung sprach. Die Polizei könne Freier jetzt verhören und Fälle von Zwangsprostitution erkennen:
Kritiker des Verbots argumentieren oft, dass die Zahl der Vergewaltigungen und Misshandlungen in Schweden seit 1999 gestiegen sei. Das liegt aber daran, dass mehr Frauen als früher die Verbrechen anzeigen. Seit dem Verbot haben die Opfer einen größeren Rückhalt in der Gesellschaft. Denn die Mehrheit der schwedischen Bürger findet es laut Umfragen nicht mehr akzeptabel, wenn ein Mann eine Frau für Sex benutzt. Auch dann nicht, wenn er sie bezahlt.
Anmerkung: Zuerst veröffentlicht auf huffingtonpost.de.